Deutschland steht vor zwei ungewöhnlichen Herausforderungen. Zum einen sollte es sich möglichst noch vor den Neuwahlen am 23. Februar gegen die Risiken wappnen, die sich aus dem russischen Vormarsch in der Ukraine und der Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus ergeben. Den Sonderfonds Verteidigung um 200 Milliarden Euro aufzustocken, wäre ein starkes Signal an Wladimir Putin, dass Deutschland und Europa den längeren Atem haben. Langfristig höhere deutsche Ausgaben für die Verteidigung könnten sogar Trump davon abhalten, Deutschland als sicherheitspolitischen Trittbrettfahrer mit Strafzöllen zu überziehen. Zum anderen sollte eine neue Regierung die Wirtschaft durch grundlegende Reformen aus der Stagnation holen, in der das Land seit drei Jahren steckt. In diesem Beitrag werden Vorschläge für ein solches Programm skizziert.*
Besonders dringlich: Größerer Sonderfonds Verteidigung
Die Zeit drängt. Russland kommt auf dem Schlachtfeld voran. Donald Trump hat begonnen, die Weichen für seine zweite Amtszeit zu stellen, die am 20. Januar beginnt. Je eher und je energischer Deutschland versucht, die sich daraus ergebenen Risiken einzugrenzen, desto besser. Das Land würde sich selbst und seinen Nachbarn einen großen Gefallen tun, wenn es den Sonderfonds Verteidigung von derzeit €100 Milliarden noch vor der vorgezogenen Bundestagswahl um €200 Milliarden aufstockt. Mit dem zusätzlichen Geld könnte das Land auf absehbare Zeit seine Verteidigungsausgaben auf mindestens 2,5% seiner Wirtschaftsleistung anheben. Das wäre ein starkes Signal an Putin, dass Deutschland und Europa sich ihm kraftvoll und mit langem Atem entgegenstellen. Es könnte sogar Trump davon abhalten, Deutschland als Trittbrettfahrer der Sicherheitspolitik mit Strafzöllen zu überziehen. Ein solches Signal könnte entscheidend dazu beitragen, die größten Risiken für die nationale Sicherheit und die deutsche Konjunktur einzugrenzen.
Zusammen hätten SPD, Union und die Grünen die dafür erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat. Dass Deutschland mehr für die Ukraine und seine eigene Verteidigung tun muss, ist in den Parteien der rechten und linken Mitte kaum umstritten. Aber wenn Deutschland mit einem solchen Signal bis zum wahrscheinlichen Abschluss von Koalitionsverhandlungen im April wartet, könnte Trump bis dahin bereits Entscheidungen über die Ukraine und über Zölle getroffen haben, die Deutschland und Europa teuer zu stehen kommen könnten.
Das zusätzliche Geld aus einem kräftig aufgestockten Verteidigungsfonds sollte ausdrücklich nur für Rüstungsgüter sowie für Militärhilfen für die Ukraine zur Verfügung stehen. Deutschland würde diese Mittel erst im Laufe von zehn Jahren ausgeben können und sollen. Aber es würde der Rüstungsindustrie die benötigte Planungssicherheit geben, um ihre Kapazitäten auszubauen. Derzeit kommt es vor allem auf das Signal an. Allerdings würde es Sinn ergeben, der Ukraine unmittelbar bis zu €10 Milliarden zu überweisen, um die Verteidigung zu stärken. Wenn die Ukraine den russischen Vormarsch nicht stoppen kann, würde das auf Dauer die Sicherheit der NATO und damit auch Deutschlands gefährden. Als mit Abstand größter und finanzkräftigster Volkswirtschaft in Europa stünde es Deutschland gut an, hier mit gutem Beispiel voranzugehen.
Wege aus der Wirtschaftskrise: Zwölf Vorschläge
Der einstige Wachstumsmotor Europas ist als einzige große Volkswirtschaft des Kontinents im Jahr 2024 erneut geschrumpft. Deutschlands Exportmaschine stottert und der Wohnungsbau ist eingebrochen während Unternehmen angesichts hoher Energiekosten, steigender regulatorischer Lasten und eines unklaren Kurses der Wirtschaftspolitik vermehrt im Ausland statt im Inland investieren. Die heutige Lage unterscheidet sich zwar deutlich von der strukturellen Malaise der Jahre 1995-2004, als ich für Deutschland das Etikett „kranker Mann Europas“ eingeführt hatte. Als Folge der Reformen der Agenda 2010 erfreut Deutschland sich heute noch immer einer Rekordbeschäftigung, einer hohen Nachfrage nach Arbeitskräften und der komfortabelsten Haushaltslage aller großen Volkswirtschaften. Das macht es einfacher, sich an Schocks anzupassen. Aber der derzeitige Abschwung sollte als Weckruf dienen. Im „goldenen Jahrzehnt“, das ich 2010 für Deutschland vorhergesagt hatte, hat sich das Land zu sehr auf seinen Lorbeeren ausgeruht. Um an die Dynamik des vergangenen Jahrzehnts anknüpfen zu können, braucht Deutschland eine neue Welle grundlegender Reformen. Meine zwölf Vorschläge:
Vorschlag 1: Öffentliche Verwaltung stärken
In vielerlei Hinsicht wird Deutschland gut regiert und verwaltet, gerade auch im Vergleich mit vielen anderen Ländern. Die fest verankerten Institutionen, der stabile Rechtsrahmen, Transparenz und politische Stabilität sind weiterhin gute Argumente für den Standort Deutschland. Allerdings kämpft die Verwaltung immer stärker mit vier großen Problemen:
- Deutschland liegt bei der Digitalisierung der Verwaltung weit hinter vergleichbaren Volkswirtschaften zurück;
- das Regelungsgeflecht, das die Bürokratie verwalten muss, wird immer dichter und komplexer;
- eine enge Auslegung der Datenschutzbestimmungen erschwert den Austausch zwischen den einzelnen Behörden und zwingt die Bürger oft dazu, weitere Formulare noch einmal mit Angaben auszufüllen, die andere Behörden bereits haben; und
- ein zunehmender Personalmangel auf vielen Ebenen verzögert viele Vorgänge, führt zu gelegentlichen Fehlern und verärgert viele Bürger.
Diese Probleme verstärken sich gegenseitig. Deshalb ist es eine meiner obersten Prioritäten, die öffentliche Verwaltung einschließlich des Gerichtswesens auf allen Ebenen zu stärken und zu entlasten. Dazu gehören mehr junge Mitarbeiter zu wettbewerbsfähigen Gehältern, die Digitalisierung des öffentlichen Dienstes und ein kritischer Blick auf die rigiden Datenschutzbestimmungen. Vor allem aber sollte die Frage, wie Regeln angesichts des gravierenden Personalmangels in der Verwaltung ebenso wie in den Unternehmen um- und durchgesetzt werden können, ein zentraler Punkt jeder politischen Diskussion über neue Gesetze und Regulierungen sein.
Vorschlag 2: Schnelle Planungs-/Genehmigungsverfahren
Langwierige Planungs-, Genehmigungs- und gerichtliche Überprüfungsverfahren bremsen öffentliche und private Investitionen. Es ginge auch einfacher. Nach dem Putin-Schock genehmigte und baute Deutschland im Jahr 2022 in einer Rekordzeit von sieben Monaten das erste Einfuhrterminal für Flüssiggas (LNG).
Diese Verfahren zu straffen fällt nicht leicht innerhalb der föderalen Struktur Deutschlands, in der sich alle etablierten Parteien die Macht entweder auf Bundesebene oder zumindest auf Landesebene teilen. Umso wichtiger ist es, dass die neue Regierung dies zu einer Priorität macht. Diese Aufgabe ist wenig glamourös. Aber sie ist wichtiger als Fototermine mit Wirtschaftsführern, die gerade Mega-Zuschüsse für eine bestimmte Investition erhalten haben.
Vorschlag 3: Anstieg der Lohnnebenkosten beenden
Nach der Wiedervereinigung kamen die Menschen in den neuen Bundesländern zu Recht in den Genuss von Sozialleistungen, ohne vorab in die westdeutschen Sozialkassen eingezahlt zu haben. Allerdings hat die Politik sich damals lange geweigert, die gesamtdeutschen Sozialleistungen entsprechend anzupassen oder die Kosten über eine höhere Mehrwertsteuer zu finanzieren. Das Ergebnis war ein kräftiger Anstieg der Lohnnebenkosten von knapp 36% auf 42% der Arbeitnehmerentgelte – siehe Grafik. Zusammen mit einigen anderen Lasten zwang dies viele Unternehmen zur Standortflucht. Deutschland wurde zum kranken Mann Europas, bis die Reformen der Agenda 2010 dem für einige Zeit einen Riegel vorschoben. Seit 2021 zeichnet sich jedoch ein neuer Anstieg der Sozialbeiträge ab von knapp 40% vor vier Jahren auf 42% im Jahr 2025 und vermutlich 44% in 2028.
Um die langsam einsetzende neue Standortflucht schnell zu beenden, sollte die Politik die Sozialbeiträge möglichst nahe bei 40% stabilisieren. Das wird nicht möglich sein, ohne vor allem die Pflege- und Krankenversicherung zu reformieren. Gerade in der Pflegeversicherung wird der Eigenanteil der Menschen, die Vermögen gebildet haben, dafür wohl spürbar steigen müssen. Den Eigenanteil auch für Menschen mit hinreichendem Vermögen auf €1000 pro Monat zu begrenzen, wäre genau der falsche Weg. Es darf nicht darum gehen, die möglichen Erben des Vermögens zu schonen.
Vorschlag 4: Eine rationale Klimapolitik
Mit einem Anteil von knapp 1,5% an den Weltemissionen von Treibhausgasen kann Deutschland das Weltklima nicht retten. Der wichtigste Beitrag wäre, anderen Ländern zu zeigen, dass eine ambitionierte Klimaschutzpolitik Wachstum und Wohlstand nicht oder nur kaum belasten muss. Derzeit ist eher das Gegenteil der Fall. So gesehen hat Deutschland dem Klimaschutz in den letzten Jahren einen Bärendienst erwiesen. Es muss seine Energie- und Klimaschutzpolitik vom Kopf auf die Füße stellen. Anreize für mehr Solar- und Windenergie machen nur im dem Umfang Sinn, in dem dieser Strom auch über das Netz sinnvoll verteilt oder gespeichert
werden kann. Subventionen für eine begrenzte Anzahl von Unternehmen in den energieintensivsten Branchen verschlingen erhebliche Geldbeträge und verzerren den Wettbewerb zwischen den Empfängern dieser Zulagen und ihren oftmals kleineren Konkurrenten. Besser wäre es, mit diesen Mitteln die Netzentgelte für alle Unternehmen zu senken.
Vor allem aber sollte die Klimapolitik auf Detail- und Technologievorgaben verzichten. Stattdessen sollte sich auf die Preissignale aus dem Handel mit Emissionsrechten verlassen, der auf EU-Ebene ohnehin ab 2027 auf Verkehr und Gebäude ausgedehnt werden soll. Einnahmen aus der Vergabe der Emissionsrechten sollten so eingesetzt werden, dass sie soziale Härten vermeiden. Für ein Klimageld für Alle reichen die Ressourcen wohl nicht.
Der Staat muss den Unternehmen und Verbrauchern nicht vorschreiben, welche Autos sie produzieren oder kaufen sollen. Stattdessen sollten die Treibstoffpreise und Heizkosten die jeweiligen Umweltkosten widerspiegeln.
Nach Angaben des Bundesverbands Erdöl, Erdgas und Wärme (BVEG) könnte Deutschland seine jährliche Erdgasförderung potenziell verdreifachen – von 5 auf 15 Milliarden Kubikmeter –, wenn es Fracking zulässt, vor allem im Emsland an der niederländischen Grenze. Dadurch könnte der Anteil des heimischen Gases am gesamten deutschen Gasverbrauch in wenigen Jahren von 5,5 % auf bis zu 17 % steigen. Dies könnte dazu beitragen, die Preise auf einem akzeptablen Niveau zu stabilisieren und Lizenzeinnahmen für die Staatskasse zu erzeugen. Zudem würde es den CO2-Fußabdruck Deutschlands verringern, da das Land weniger Flüssiggas importieren müsste, das derzeit mit erheblichen finanziellen und ökologischen Kosten umgewandelt und von weither nach Deutschland verschifft werden muss.
Vorschlag 5: Reformen für mehr Arbeitsanreize
Deutschland nutzt sein menschliches Potenzial bereits jetzt besser als die meisten anderen entwickelten Volkswirtschaften. 77,3% der Menschen im Alter von 15 bis 64 Jahren gehen derzeit einer Beschäftigung nach im Vergleich zu einer Quote von 70,5% im Durchschnitt der Eurozone und 71,6% in den USA. Aber Deutschland könnte über die anhaltende Zuwanderung in seinen Arbeitsmarkt hinaus noch wesentlichmehr tun, um auch das inländische Arbeitskräfteangebot zu erhöhen.
Zu den wichtigsten Maßnahmen zählen steuerliche Anreize für Menschen, über das gesetzliche Rentenalter hinaus zu arbeiten. Bis zu einer Obergrenze von monatlich €5000 würde ich die Einkommensteuer auf Arbeitseinkommen abschaffen, die über das gesetzliche Rentenalter hinaus bezogen werden, wie ich das im Frühjahr 2023 erstmals vorgeschlagen habe. Eine weitere Anhebung des Renteneintrittsalters für arbeitsfähige Menschen über 67 Jahre hinaus scheint für die nächsten Jahre politisch unmöglich. Die begrenzte Steuerfreiheit für Erwerbseinkommen jenseits der Altersgrenze könnte ein sinnvoller Ersatz sein.
Auch das neue Bürgergeld muss so angepasst und stellenweise gekürzt werden, das es keinen Anreiz bietet für arbeitsfähige Menschen, daheim zu bleiben statt sich intensiv um eine Arbeit zu bemühen. Um die Arbeitsaufnahme zu belohnen, dürfen dann allerdings die Sozialleistungen auch nur schrittweise vermindert werden, wenn jemand sein bisheriges Transfereinkommen durch Arbeitseinkommen ergänzt und letztlich ersetzt. Die Transferentzugsrate muss so abgemildert werden, dass dem Arbeitnehmer netto mindestens 50% des eigenen Verdienstes verbleiben.
Vorschlag 6: Ein sofortiges Ende der „Rente mit 63“
Die Möglichkeit zu einem um zwei Jahre vorgezogenen Renteneintritt ohne Abschläge nach 45 Beitragsjahren verschärft den ausgeprägten Facharbeitermangel in vielen Bereichen. Kaum eine zusätzliche Sozialleistung der großen Koalitionen unter Angela Merkel hat den Mittelstand ähnlich stark belastet. Angesichts des demografischen Wandels werden die Kosten weiter steigen. Jeder Mitarbeiter sollte frei entscheiden können, wann er in den Ruhestand tritt. Aber finanzielle Anreize für einen vorgezogenen Ruhestand sollten komplett abgeschafft werden.
Vorschlag 7: Unternehmenssteuern senken
Mit etwa 30% liegen die Unternehmenssteuern in Deutschland über dem Niveau nahezu aller vergleichbaren Länder. Die Gewerbesteuer zu reformieren und die Gesamtbelastung der Unternehmen bei 25% zu deckeln wäre ein wichtiges Signal an Unternehmen im In- und Ausland, dass Deutschland als Investitionsstandort wieder attraktiver wird.
Vorschlag 8: EU-Vorschriften nicht verschärfen
Angesichts seiner Größe spielt Deutschland eine wichtige Rolle bei der Gestaltung der EU-Vorschriften, die den Großteil der Regeln für den Gemeinsamen Markt ausmachen. Dabei neigt Deutschland oftmals dazu, die Regeln noch zu verschärfen. Ein besonders krasses Beispiel ist das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, dass Deutschland noch vor einer entsprechenden Regel auf EU-Ebene im Alleingang verabschiedet hat. Das nationale Gesetz sollte Deutschland sofort aussetzen und stattdessen auf EU-Ebene dazu beitragen, die gemeinsamen EU-Vorschriften zu entschärfen. Ganz allgemein sollte Deutschland sich dazu verpflichten, EU-Regeln im Normallfall so großzügig statt so engstirnig wie möglich in nationales Recht zu übertragen.
Vorschlag 9: Eine rationale Einwanderungspolitik
Aufgrund einer Geburtenrate von 1,5 Kindern pro Frau, die weit unter der erforderlichen Rate von 2,1 liegt, um die Größe jeder Generation stabil zu halten, wird Deutschland noch sehr lange mit Arbeitskräftemangel zu kämpfen haben. Einwanderer können einen Unterschied machen. Das gilt insbesondere dann, wenn das Land mehr Menschen mit entsprechenden Qualifikationen anzieht, anstatt vor allem diejenigen aufzunehmen, die es ohne Einladung nach Deutschland geschafft haben. Die deutsche Einwanderungspolitik geht langsam in diese Richtung, indem sie die Hürden für qualifizierte Einwanderer senkt und sich gleichzeitig für schärfere EU-Asylvorschriften einsetzt. Mehr ist möglich. Mit der Zeit könnte dieser Ansatz einer besser kontrollierten Einwanderung auch die politischen Spannungen lindern, die mit der bisherigen Migrationspraxis einhergehen.
Vorschlag 10: Subventionen gezielt dosieren
Im Wettlauf um begehrte Hightech-Investitionen in bestimmten Sektoren (z. B. Mikrochips, Elektromobilität, Batterien) gibt Deutschland enorme Summen aus. Solche Subventionen können in Einzelfällen aus Gründen der nationalen Sicherheit und/oder des sicheren Zugriffs auf kritische Rohstoffe gerechtfertigt sein. Aber dafür braucht es klare Kriterien. Europäische Länder benötigen keine jeweils nationale Batterieindustrie. Sollten andere europäische Länder einen Sektor kräftig subventionieren, sollte Deutschland nicht ein künftiges Überangebot heraufbeschwören, indem es dasselbe tut – oder die von anderen Ländern im EU-Binnenmarkt
angebotenen Subventionen noch überbietet.
Vorschlag 11: Mehr Regional- statt Strukturpolitik
Da in Deutschland der Arbeitskräftemangel im Trend weiter zunimmt, ergibt es keinen Sinn, Arbeitsplätze in bestimmten Sektoren zu erhalten, sofern dies nicht aus Gründen der nationalen Sicherheit unbedingt erforderlich ist. Allerdings wirft die Strukturschwäche in ländlichen Regionen abseits der florierenden Metropolen große soziale und politische Probleme auf. Das Gefühl, „abgehängt“ zu werden, trägt beispielsweise zur Attraktivität der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) bei. Öffentliche Förderprogramme sollten sich darauf konzentrieren, schwachen Regionen zu helfen, unter anderem durch eine bessere Verkehrsanbindung an die größeren Städte und großzügigere Transfers an benachteiligte Gemeinden, damit diese weiterhin grundlegende Dienstleistungen bereitstellen können. Das Leitmotiv sollte sein, Regionen zu stärken, statt bestimmte Arbeitsplätze oder Sektoren zu unterstützen.
Zu guter Letzt: Für eine bessere Schuldenbremse²
Eine Schuldenbremse im Grundgesetz macht Sinn. Ebenso wie die Unabhängigkeit der Zentralbank beschränkt sie den Handlungsspielraum von Parlament und Regierung. Aber in ihrer jetzigen Form droht Deutschlands Schuldenbremse, das Potenzial für Wachstum und Wohlstand sowie die nationale Sicherheit zu mindern statt zu fördern.
Staatsschulden werden ebenso wie die Infrastruktur und andere Vermögenswerte von Generation zu Generation vererbt. Wird heute zu wenig für Infrastruktur und Bildung getan, leiden darunter kommende Generationen. Ebenso wie das Fremdkapital erfolgreicher Unternehmen müssen Staatsschulden nicht auf Null zurückgeführt werden. Stattdessen müssen sie in einem angemessenen Verhältnis zur aktuellen und künftigen Wirtschaftskraft stehen.
Im Normalfall sollten die Schulden langsamer wachsen als die Wirtschaftsleistung. Dann geht die Schuldenquote, also das Verhältnis von Schulden zum BIP, zurück. Dies schafft Spielraum für Notfälle. Aber die jetzige Regel, die den Ländern keine Nettokreditaufnahme erlaubt und die Neuverschuldung des Bundes auf nur 0,35% der Wirtschaftsleistung begrenzt, ist zu strikt. Die im Grundgesetz verankerte Pflicht, die zusätzlichen Pandemie- und Verteidigungsschulden nach einiger Zeit wieder zu tilgen, könnte den Bund ab 2028 sogar zu Überschüssen im laufenden Haushalt zwingen. Solch eine Rosskur ist weder realistisch noch wünschenswert. Wer öfters mit der Bahn fährt, kann dies nachvollziehen. Deutschland muss mehr investieren und zudem seine Verteidigung stärken. Eine sachgerechte Schuldenbremse sollte von der jetzigen Regel in fünf Punkten abweichen:
- Erstens wird der Deckel für das laufende Defizit von 0,35% auf 1% angehoben. Dann könnte die Schuldenquote im Trend weiter sinken.
- Zweitens wird ein Anteil an dem zusätzlichen Spielraum den Bundesländern zugesprochen, beispielsweise 0,4% Prozentpunkten von den insgesamt 1% der Wirtschaftsleistung. Gerade die Länder und Gemeinden müssen sich auf steigende Pensionslasten einstellen.³
- Drittens darf die strukturelle Nettokreditaufnahme nicht die Nettoinvestitionen einschließlich der Ausgaben für Rüstungsgüter übersteigen.
- Viertens geben sich Bund und Länder nach dem Ende einer außergewöhnlichen Notlage ein weiteres Jahr Zeit, ihre Defizite auf die erlaubte Höchstgrenze zurückzuführen.
- Und fünftens wird die Pflicht zur Tilgung von Sonderschulden ausgesetzt, sofern die Schuldenquote (ohne die Schulden aus dem Sonderfonds Verteidigung) insgesamt nicht 60% der Wirtschaftsleistung übersteigt.
In den zehn fetten Jahren bis 2019 hat Deutschland zu wenig investiert und sich stattdessen zu viele Sozialleistungen gegönnt. Die derzeitige Schuldenbremse hat es dabei eingehalten. Dies zeigt, dass die Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form ihren Zweck nicht voll erfüllt hat, um es vorsichtig auszudrücken. Mein Vorschlag läuft darauf hinaus, die Schuldenbremse so um eine Investitionsregel zu ergänzen, dass die öffentliche Hand langfristig mehr für Investitionen und Verteidigung ausgeben kann, ohne die Solidität der Staatsfinanzen zu gefährden.
Damit die Investitionsregel greift, darf es allerdings nicht dem Gesetzgeber überlassen werden, wie er den Begriff der Investitionen jeweils auslegt. In der politischen Diskussion werden ja viele konsumtive Staatsausgaben immer mal wieder als „Investition in die soziale Sicherheit“ gerechtfertigt. Stattdessen muss die Reform der Schuldenbremse im Grundgesetz eine bekannte und nicht vom Gesetzgeber zu beeinflussende Definition der Nettoinvestitionen nach Abschreibungen festlegen, beispielsweise die Definition der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, wie sie vom Statistischen Bundesamt oder dem Statistischen Amt der Europäischen Union (Eurostat) verwandt wird.
International gelten Deutschlands Fiskalwirren derzeit nicht als gutes Beispiel. Mit einem realistischen Rahmen für die eigene Fiskalpolitik könnte Deutschland wieder zum Vorbild werden.
*Dieser Text beruht teilweise auf einem Vortrag, den ich am 12. Dezember in Oldenburg gehalten habe. Die Themen greife ich auch im wöchentlichen Podcast Schmiedings Blick auf.
²Diesen Vorschlag habe ich etwas ausführlicher bereits am 7. Februar 2024 veröffentlicht. Siehe Für eine bessere Schuldenbremse.
³Im Idealfall würde Deutschland die Reform der Schuldenbremse mit einer Reform des Länderfinanzausgleiches verbinden.