US-Wahl 2024: Drei Szenarien für die Wirtschaft

Eine Einschätzung unserer Volkswirte Dr. Holger Schmieding und Dr. Felix Schmidt zu den US-Wahlen 2024.

Vier Wochen vor den US-Präsidentschaftswahlen deuten die Umfragen auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der demokratischen Kandidatin Kamala Harris und dem republikanischen Kandidaten Donald Trump hin.

Sollte der umstrittene Ex-Präsident ins Weiße Haus zurückkehren, droht Europa doppeltes Ungemach durch Zusatzzölle und weniger US-Hilfen für die Ukraine. Für die wirtschaftlichen Aussichten der USA sind hingegen die gleichzeitigen Wahlen zu den beiden Kammern des Kongresses (Senat und Repräsentantenhaus) fast ebenso wichtig wie das Rennen um das Weiße Haus. Denn während der Präsident beispielsweise in der Außen- und Handelspolitik über weitreichende Kompetenzen verfügt, ist der Kongress für Steuern und Staatsausgaben zuständig. Die knappen Wahlumfragen lassen vermuten, dass es bis zum endgültigen Wahlergebnis keine Gewissheit darüber geben wird, wer ins Weiße Haus einzieht oder wer jeweils die Mehrheit in den beiden Kammern des Kongresses erringt. Wir beleuchten daher drei verschiedene Szenarien für den Ausgang der Wahlen am 5. November und deren Auswirkungen auf die Wirtschaft in den USA und in Europa.

Eine Schicksalswahl auch für Europa

Selten war eine Wahl in den USA für Europa so wichtig wie diese. Vier Wochen vor der Wahl deuten die Umfragen auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der demokratischen Kandidatin Kamala Harris und dem republikanischen Kandidaten Donald Trump hin. Sollte der umstrittene Ex-Präsident ins Weiße Haus zurückkehren, droht Europa doppeltes Ungemach.

Zum einen neigt Trump in der Handelspolitik zu lautstarken Drohungen. Zwar wird er wohl nicht sofort alle Einfuhren aus Europa mit Zöllen in Höhe von 10 oder 20 % belegen. Aber allein die lautstarke Drohung mit solchen Strafzöllen, um Europa zu Zugeständnissen zu zwingen, könnte das Geschäftsklima und die Investitionsbereitschaft diesseits des Atlantiks weiter belasten. In diesem Fall müssten wir unsere Wachstumsprognose für 2025 für das besonders ausfuhrabhängige Deutschland nochmals um mindestens 0,2 Prozentpunkte und für das übrige Europa um etwa 0,1 Prozentpunkte senken.

Zum anderen können wir nicht ausschließen, dass Trump die US-Hilfen für die Ukraine drastisch einschränken würde. Europa müsste dann entweder sofort energisch handeln und mit europäischem Geld die benötigten Waffen in den USA kaufen und an die Ukraine liefern, oder Putin könnte seinen Krieg doch noch gewinnen. Das könnte das politische Gefüge Europas erschüttern, den Kontinent zu deutlich höheren Verteidigungsausgaben zwingen und neue Flüchtlingsströme aus der Ukraine nach Westen auslösen. Das ist unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich.

Kongresswahlen sind für die Fiskalpolitik entscheidend

Fast ebenso wichtig für die wirtschaftlichen Perspektiven der USA sind die gleichzeitig stattfindenden Wahlen zu den beiden Kammern des Kongresses (Senat und Repräsentantenhaus). Am 5. November werden das gesamte Repräsentantenhaus und ein Drittel des Senats neu gewählt. Während der Präsident beispielsweise in der Außen- und Handelspolitik über weitreichende Kompetenzen verfügt, ist der Kongress für Steuern und Staatsausgaben zuständig (power of the purse). Ohne eine Mehrheit in beiden Teilen des Kongresses ist der fiskalpolitische Handlungsspielraum des Präsidenten daher stark eingeschränkt.

Die tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Parteien lassen eine parteiübergreifende Zusammenarbeit in der nächsten Legislaturperiode sehr unwahrscheinlich erscheinen. Sollte wie bisher eine Kammer des Kongresses von den Demokraten und die andere von den Republikanern dominiert werden, werden beide Parteien sich vermutlich weiterhin gegenseitig blockieren. Harris könnte die Ausgaben nicht erhöhen und das Steuersystem nicht neu ausrichten, Trump die Steuern nicht weiter senken. Angesichts des ohnehin hohen Defizits im Staatshaushalt wäre das kein schlechtes Ergebnis.


Wettquoten für die US-Wahl - Gewinnchancen in %

Präsident: Wahrscheinlichkeit für den Sieg bei der Präsidentschaftswahl 2024; Senat/Haus: Wahr-scheinlichkeit auf die Kontrolle nach der Wahl 2024. Quelle: Realclearpolling, Polymarket. Stand: 10.10.2024

Beide Kandidaten machen teure Wahlversprechen

Laut einer Studie des überparteilichen Committee for a Responsible Federal Budget (CRFB) würden Donald Trumps Steuersenkungsversprechen das US-Haushalts-defizit innerhalb von zehn Jahren um zusätzliche 7,5 Billionen Dollar erhöhen. Die Vorschläge von Kamala Harris würden dagegen rund 3,5 Billionen Dollar kosten. Das Congressional Budget Office geht derzeit davon aus, dass die US-Staatsverschuldung bis zum Jahr 2025 von heute 99 %[1] des BIP auf 125% ansteigen wird, sofern es keine größeren Veränderungen auf der Einnahmen- und Ausgabenseite gibt.

Sollte es jedoch einem der Kandidaten gelingen, nach einem "Sweep" (Einzug ins Weiße Haus und Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses) seine fiskalpolitischen Versprechen aus dem Wahlkampf tatsächlich umzusetzen, könnte dies laut CFRB die Schuldenquote bis 2035 auf 133% (Harris) oder sogar 142% (Trump) ansteigen lassen.

[1]Die Schulden, die der amerikanische Staat bei sich selbst hat, sind hier nicht berücksichtigt. Beispielsweise bleiben die Schulden, welche die Regierung bei der eigenen Rentenversicherung – also bei sich selbst – hat außen vor. Inklusive dieser innerstaatlichen Schulden liegt die derzeitige Staatsverschuldung bei rund 120%.

Die wichtigsten fiskalpolitischen Vorschläge

Kamala HarrisDonald Trump
Steuersenkungen des Tax Cuts and Jobs Act über 2025 hinaus verlängern für Einkommen unter 400.000 $ Steuersenkungen des Tax Cuts and Jobs Act erweitern und über 2025 hinaus verlängern
Steuerbelastung für Familien verringern
25.000 $ Hauskaufunterstützung für Erstkäufer Ende der Besteuerung von Renten
Trinkgelder steuerfrei stellen Trinkgelder steuerfrei stellen
Mindestlohn anheben (genaue Höhe nicht bekannt) Überstundeneinkommen steuerfrei stellen
Unternehmenssteuer von 21 % auf 28 % anheben Unternehmenssteuer von 21 % auf 15 % senken
Höhere Steuern auf Kapitaleinkommen Gesteigerte Ausgaben für das Militär
Gesteigerte Ausgaben für die Grenzsicherung Gesteigerte Ausgaben für die Grenzsicherung

Drei Szenarien für die Wirtschaft

Die knappen Wahlumfragen deuten darauf hin, dass es bis zum endgültigen Wahlergebnis keine Gewissheit darüber geben wird, wer ins Weiße Haus einzieht und wer die Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses erringt. Daher erscheint es sinnvoll, in Szenarien über den Ausgang der Wahlen am 5. November und deren Auswirkungen auf die Wirtschaft in den USA und im Euroraum nachzudenken.

Vor einigen Wochen haben wir die Wahrscheinlichkeit, dass Harris gewinnt, auf 55 % taxiert, gegenüber einer Chance von 45 % für Trump. Allerdings sind diese Wahrscheinlichkeiten nicht in Stein gemeißelt. In den letzten Tagen spricht das Momentum eher etwas für Trump. Der eskalierende Konflikt im Nahen Osten stärkt bei einigen Wählern offenbar den Wunsch nach einem Kandidaten, der sich als „starker Mann“ präsentiert. Bei den Wettquoten hat Trump aktuell die Nase vorn, allerdings nur sehr wenig. Es steht also Spitz auf Knopf.

Grundsätzlich ergeben sich aus der Kombination der beiden großen Wahlentscheidungen (Präsidentschaft und Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses) vier Szenarien. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit, dass Kamala Harris ins Weiße Haus einzieht und die Demokraten die Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses erringen, aus heutiger Sicht so gering (10 %), dass wir darauf nicht weiter eingehen. Es bleiben somit drei alternative Szenarien.

Szenario 1: Harris gewinnt, gespaltener Kongress (Wahrscheinlichkeit 45 %)
Im Vergleich zur aktuellen Politik des amtierenden Präsidenten Biden würde sich vermutlich nicht viel ändern. Harris würde voraussichtlich Bidens moderaten Protektionismus fortsetzen, eine harte Haltung gegenüber China einnehmen und die NATO sowie die Ukraine zuverlässig unterstützen. Da das Budgetrecht beim Kongress liegt, wären ihre innen- und finanzpolitischen Möglichkeiten über einige Änderungen per Dekret hinaus begrenzt. Viele ihrer Wahlversprechen, wie die finanzielle Unterstützung von Erstkäufern von Wohneigentum und die Erhöhung der Unternehmenssteuer von 21 % auf 28 %, könnte sie nicht umsetzen. Ende nächsten Jahres laufen die temporären Steuersenkungen aus, die Trump 2017 im Rahmen des Tax Cuts and Jobs Act (TCJA) eingeführt hatte. Harris hat sich noch nicht abschließend dazu geäußert, ob zumindest eine teilweise Verlängerung mit ihr zu machen wäre. Es scheint jedoch parteiübergreifende Unterstützung für eine Verlängerung der erhöhten Steuergutschriften für Kinder und der Steuererleichterungen für alle Einkommen unter 400.000 US-Dollar pro Jahr zu geben. Insgesamt würde der Fiskalimpuls in diesem Szenario im Zeitablauf aber etwas nachlassen, da alte Ausgabenprogramme auslaufen und keine neuen verabschiedet werden. An den globalen Finanzmärkten würde dieses Szenario höchstwahrscheinlich die geringste Volatilität erzeugen.

Szenario 2: Trump gewinnt, gespaltener Kongress (Wahrscheinlichkeit 30%)
In diesem Szenario mit der zweithöchsten Wahrscheinlichkeit wäre Trump nicht in der Lage, die Steuern über die mit den Demokraten zu vereinbarende Verlängerung der TCJA-Steuersenkungen hinaus weiter zu senken. Trump dürfte sich, wie in seiner ersten Amtszeit, auf die Einwanderungs- und Handelspolitik konzentrieren. Sollte Trump wie angekündigt die Zölle auf Importe aus China auf 60 % und auf Importe aus dem Rest der Welt auf 10 - 20 % anheben, würde dies die Preise in den USA in die Höhe treiben und die Inflation anheizen. Dies würde die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) wahrscheinlich dazu zwingen, ihre Geldpolitik weniger zu lockern, als dies sonst der Fall wäre. In Europa dürften sich im Falle zusätzlicher Zölle das Geschäftsklima und die Investitionsbereitschaft der Unternehmen deutlich eintrüben. Die besonders exportabhängige deutsche Wirtschaft dürfte davon noch stärker betroffen sein als das übrige Europa. Dagegen könnte die US-Wirtschaft unter Trump kurzfristig von einer gewissen Deregulierung und Lockerung von Umweltauflagen profitieren, um mehr Öl- und Gasbohrungen zu ermöglichen. Längerfristig würden jedoch höhere US-Zölle, Vergeltungsmaßnahmen anderer Länder, ein Arbeitskräftemangel aufgrund einer geringeren Einwanderung und eine mögliche Aushöhlung der Institutionen unter Trump das Trendwachstum in den USA schwächen. Konkret würden wir bei einem Wahlsieg von Trump unsere Wachstumsprognose für die USA für das Jahr 2025 wohl um etwa 0,2 Prozentpunkte anheben aber sie für die Jahre danach um etwa 0,2 Prozentpunkte senken. Der anfängliche Schub für die US-Wirtschaft und die Aussicht auf tendenziell höhere Leitzinsen dürften dem US-Dollar zunächst etwas Rückenwind verleihen. Mittelfristig könnte sich das Blatt für den Dollar jedoch aufgrund der wachstumshemmenden Maßnahmen unter Trump wenden.

Szenario 3: Die Republikaner kontrollieren das Weiße Haus und beide Kammern des Kongresses (Wahrscheinlichkeit 15%)
Trump würde wie im zweiten Szenario vorgehen. Zusätzlich hätte er die Macht, die bereits expansive US-Fiskalpolitik weiter zu lockern. In diesem Fall würde er nicht nur die von ihm 2017 eingeführten TCJA-Steuersenkungen über das Jahr 2025 hinaus verlängern. Darüber hinaus hat er angekündigt, den Unternehmenssteuersatz von 21% auf 15% zu senken sowie die Steuern auf Rentenzahlungen abzuschaffen. Diese sehr expansive Fiskalpolitik würde es der Fed angesichts der dann noch größeren Inflationsgefahr wahrscheinlich nicht erlauben, die Zinsen weiter zu senken. Die US-Bürger würden zwar von geringeren Steuern profitieren. Sie müssten aber im Gegenzug höhere Preise für Güter und höhere Kreditkosten zahlen. Bei diesem „Trump pur“-Szenario bestünde sogar ein kleines Restrisiko, dass die USA angesichts rasant steigender Staatsschulden auf eine kleine Schuldenkrise mit einem kräftigen Risikoaufschlag auf die Renditen ihrer Staatsanleihen zusteuern könnten. In diesem unwahrscheinlichen Extremszenario wäre auch mit Kapitalabflüssen und einer Abwertung des US-Dollars zu rechnen.

Bei der Wahl steht für beide Seiten des Atlantiks viel auf dem Spiel. Aber auch nach dem Urnengang am 5. November wird die Unsicherheit möglicherweise nicht sofort verschwinden. Denn bei einer so knappen Wahl kann es einige Tage dauern, bis das Ergebnis endgültig feststeht. Zudem könnte sich Trump im Falle einer knappen Wahlniederlage erneut weigern, diese anzuerkennen. Bis zur offiziellen Amtseinführung am 20. Januar 2025 könnte in diesem Fall nicht nur an den Finanzmärkten eine gewisse Unruhe bestehen bleiben.

Insgesamt lässt sich festhalten, dass für Europa aus wirtschafts- und handelspolitischer Sicht vor allem der Ausgang des Rennens um das Weiße Haus entscheidend ist. Für die US-Wirtschaft werden hingegen auch die Kongresswahlen eine wichtige Rolle spielen. Bei der Wahl – und den Entscheidungen danach – steht für beide Seiten des Atlantiks viel auf dem Spiel.

Autoren

Dr. Holger Schmieding
Chefvolkswirt
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Dr. Felix Schmidt
Leitender Volkswirt