Deutsche Reformen: Wahlprogramme im Check

Chefvolkswirt Dr. Holger Schmieding skizziert Vorschläge für ein Reformprogramm.

So kann es nicht weitergehen. Nach drei Jahren Stagnation muss eine neue Bundesregierung das Land durch grundlegende Reformen wieder voranbringen. In diesem Beitrag skizziere ich zunächst meine Vorschläge für Reformen. Danach vergleiche ich sie auf den Seiten 4 und 5 mit den Programmen der vier Parteien, die eine realistische Chance haben, nach den Wahlen vom 23. Februar Teil der neuen Regierung zu werden. Dabei schaue ich sowohl auf die Vorschläge der Parteien für Strukturreformen als auch auf die Aussagen zur Schuldenbremse. Reformen für mehr Wachstum führen zwar auf Dauer zu höheren Staatseinnahmen. Aber um mehr Ausgaben für die Infrastruktur zu finanzieren sowie Unternehmen und Bürger unmittelbar zu entlasten, muss auch die Schuldenbremse angepasst werden. Darüber hinaus bietet es sich an, den Sonderfonds Verteidigung schnellstmöglich um 200 Milliarden Euro aufzustocken. Das wäre ein starkes Signal an Wladimir Putin, dass Deutschland und Europa den längeren Atem haben. Dies könnte vielleicht sogar Donald Trump davon abhalten, Deutschland als sicherheitspolitischen Trittbrettfahrer mit Strafzöllen zu überziehen.¹

Besonders dringlich: Größerer Sonderfonds Verteidigung

Die Zeit drängt. Russland kommt auf dem Schlachtfeld voran. Donald Trump hat seine zweite Amtszeit angetreten. Je eher und je energischer Deutschland versucht, die sich daraus ergebenen Risiken einzugrenzen, desto besser. Das Land würde sich selbst und seinen Nachbarn einen großen Gefallen tun, wenn es den Sonderfonds Verteidigung von derzeit 100 Milliarden Euro so bald wie möglich um 200 Milliarden aufstockt. Mit dem zusätzlichen Geld könnte das Land auf absehbare Zeit seine Verteidigungsausgaben auf mindestens 2,5% seiner Wirtschaftsleistung anheben. Ein solches Signal könnte entscheidend dazu beitragen, die größten Risiken für die nationale Sicherheit (Putins Krieg) und die deutsche Konjunktur (Trumps Zölle) einzugrenzen.

Das zusätzliche Geld aus einem kräftig aufgestockten Verteidigungsfonds sollte ausdrücklich nur für Rüstungsgüter sowie für Militärhilfen für die Ukraine zur Verfügung stehen. Deutschland würde diese Mittel erst im Laufe von fünf oder mehr Jahren ausgeben können und sollen. Aber es würde der Rüstungsindustrie die benötigte Planungssicherheit geben, um ihre Kapazitäten auszubauen.

Wege aus der Wirtschaftskrise: Zwölf Vorschläge

Der einstige Wachstumsmotor Europas ist als einzige große Volkswirtschaft des Kontinents im Jahr 2024 erneut geschrumpft. Deutschlands Exportmaschine stottert und der Wohnungsbau ist eingebrochen, während Unternehmen angesichts hoher Energiekosten, steigender regulatorischer Lasten und eines unklaren Kurses der Wirtschaftspolitik vermehrt im Ausland statt im Inland investieren. Im „goldenen Jahrzehnt“, das ich 2010 für Deutschland vorhergesagt hatte, hat sich das Land zu sehr auf den Erfolgen der Agenda 2010 ausgeruht. Um an die Dynamik des vergangenen Jahrzehnts anknüpfen zu können, braucht Deutschland eine neue Welle grundlegender Reformen. Meine zwölf Vorschläge:

Vorschlag 1: Öffentliche Verwaltung stärken

Deutschlands Verwaltung kämpft mit vier großen Problemen:

  1. Das Land liegt bei der Digitalisierung der Verwaltung weit hinter vergleichbaren Volkswirtschaften zurück.
  2. Das Regelungsgeflecht, das die Bürokratie verwalten muss, wird immer dichter und komplexer.
  3. Eine enge Auslegung der Datenschutzbestimmungen erschwert den Austausch zwischen den einzelnen Behörden.
  4. Und ein zunehmender Personalmangel auf vielen Ebenen verzögert viele Vorgänge, führt zu Fehlern und verärgert viele Bürger.

Diese Probleme verstärken sich gegenseitig. Deshalb ist es eine meiner obersten Prioritäten, die öffentliche Verwaltung einschließlich des Gerichtswesens auf allen Ebenen zu stärken und zu entlasten. Dazu gehören neben einem Abbau allzu detaillierter Regeln auch mehr junge Mitarbeiter zu wettbewerbsfähigen Gehältern, die Digitalisierung des öffentlichen Dienstes und ein kritischer Blick auf die rigiden Datenschutzbestimmungen. Vor allem aber sollte die Frage, wie Regeln angesichts des gravierenden Personalmangels in der Verwaltung ebenso wie in den Unternehmen um- und durchgesetzt werden können, ein zentraler Punkt jeder Diskussion über neue Gesetze und Regulierungen sein.

Vorschlag 2: Schnelle Planungs-/Genehmigungsverfahren

Langwierige Planungs-, Genehmigungs- und gerichtliche Prüfverfahren bremsen öffentliche und private Investitionen. Es ginge auch einfacher. Nach dem Putin-Schock genehmigte und baute Deutschland im Jahr 2022 in einer Rekordzeit von sieben Monaten das erste Einfuhrterminal für Flüssiggas. Verfahren zu straffen fällt nicht leicht innerhalb der föderalen Struktur Deutschlands, in der sich alle etablierten Parteien die Macht entweder auf Bundesebene oder zumindest auf Landesebene teilen. Umso wichtiger ist es, dass die neue Regierung dies zu einer Priorität macht. In vielen Fällen ergibt es Sinn, eine „Genehmigungsfiktion“ einzuführen. Sollte ein Amt einen (Bau-)Antrag nicht innerhalb einer vorgesehen Frist beschieden haben, gilt er als bewilligt. Rückfragen des Amtes dürften die Frist nicht verlängern.

Vorschlag 3: Anstieg der Lohnnebenkosten beenden

Der Anstieg der Lohnnebenkosten von knapp 36% auf 42% der Arbeitnehmerentgelte nach der Wiedervereinigung zwang viele Unternehmen in den Jahren danach zur Standortflucht. Deutschland wurde zum kranken Mann Europas, bis die Reformen der Agenda 2010 für einige Zeit Abhilfe schafften. Seit 2021 zeichnet sich jedoch ein neuer Anstieg der Sozialbeiträge ab von knapp 40% vor vier Jahren auf 42.3% im Jahr 2025 und vermutlich 44% im Jahr 2028.

Um die langsam einsetzende neue Standortflucht schnell zu beenden, sollte die Politik die Sozialbeiträge möglichst nahe bei 40% stabilisieren. Das wird nicht möglich sein, ohne auch die Pflege- und Krankenversicherung zu reformieren. Gerade in der Pflegeversicherung wird der Eigenanteil der Menschen, die Vermögen gebildet haben, dafür wohl spürbar steigen müssen. Es darf nicht darum gehen, die möglichen Erben des Vermögens zu schonen.

Sozialversicherunsbeiträge in % des Bruttolohns

Quellen: BMAS, BMG, Berenberg-Schätzung für 2025

Vorschlag 4: Eine rationale Klima- und Energiepolitik

Deutschland muss seine Energie- und Klimaschutzpolitik vom Kopf auf die Füße stellen. Anreize für mehr Solar- und Windenergie ergeben nur im dem Umfang Sinn, in dem dieser Strom auch über das Netz sinnvoll verteilt oder gespeichert werden kann. Statt eine begrenzte Anzahl von Unternehmen in den energieintensivsten Branchen zu subventionieren, wäre es besser, mit diesen Mitteln die Steuern für alle Unternehmen zu senken. Vor allem aber sollte die Klimapolitik auf Detail- und Technologievorgaben verzichten. Stattdessen sollte sie sich auf die Preissignale aus dem Handel mit Emissionsrechten verlassen, der auf EU-Ebene ohnehin ab 2027 auf Verkehr und Gebäude ausgedehnt werden soll. Einnahmen aus der Vergabe der Emissionsrechte sollten so eingesetzt werden, dass sie soziale Härten vermeiden.

Nach Angaben des Bundesverbands Erdöl, Erdgas und Wärme (BVEG) könnte Deutschland seine jährliche Erdgasförderung von 5% auf 17% des gesamten deutschen Gasverbrauchs verdreifachen, wenn es Fracking zulässt. Dies könnte dazu beitragen, die Preise auf einem akzeptablen Niveau zu stabilisieren, Lizenzeinnahmen für die Staatskasse generieren und den CO2-Fußabdruck Deutschlands verringern, da das Land weniger Flüssiggas einführen müsste, das mit erheblichen Umweltkosten aus Übersee zu uns kommt.

Vorschlag 5: Mehr Arbeitsanreize

Deutschland nutzt sein menschliches Potenzial besser als die meisten anderen entwickelten Volkswirtschaften. 77,3% der Menschen im Alter von 15 bis 64 Jahren gehen derzeit einer Beschäftigung nach im Vergleich zu einer Quote von 70,5% im Durchschnitt der Eurozone und 71,6% in den USA. Aber Deutschland könnte noch wesentlich mehr tun, um das inländische Arbeitskräfteangebot zu erhöhen.

Zu den wichtigsten Maßnahmen zählen steuerliche Anreize für Menschen, über das gesetzliche Rentenalter hinaus zu arbeiten. Bis zu einer Obergrenze von monatlich 5000 Euro würde ich die Einkommensteuer auf Arbeitseinkommen abschaffen, die über das gesetzliche Rentenalter hinaus bezogen werden, wie ich das im Frühjahr 2023 erstmals vorgeschlagen habe. Eine weitere Anhebung des Renteneintrittsalters für arbeitsfähige Menschen über 67 Jahre hinaus wäre auf Dauer sinnvoll, scheint aber für die nächsten Jahre politisch unmöglich. Ein besseres Angebot an Betreuungsmöglichkeiten für Kinder könnte der in Deutschland besonders hohen Quote unfreiwilliger Teilzeitarbeit gerade von Frauen entgegenwirken.

Auch das neue Bürgergeld muss so angepasst und stellenweise gekürzt werden, dass es keinen Anreiz bietet für arbeitsfähige Menschen, daheim zu bleiben, statt sich intensiv um eine Arbeit zu bemühen. Um die Arbeitsaufnahme zu belohnen, dürfen dann allerdings die Sozialleistungen auch nur schrittweise vermindert werden, wenn jemand sein bisheriges Transfereinkommen durch Arbeitseinkommen ergänzt und letztlich ersetzt. Die Transferentzugsrate muss so abgemildert werden, dass dem Arbeitnehmer netto mindestens 50% des eigenen Verdienstes verbleiben.

Vorschlag 6: Ein Ende der „Rente mit 63“

Die Möglichkeit eines um zwei Jahre vorgezogenen Renteneintritts ohne Abschläge nach 45 Beitragsjahren verschärft den ausgeprägten Facharbeitermangel in vielen Bereichen. Alle finanziellen Anreize für einen vorgezogenen Ruhestand sollten komplett abgeschafft werden.

Vorschlag 7: Unternehmenssteuern senken

Mit etwa 30% liegen die Unternehmenssteuern in Deutschland über dem Niveau nahezu aller vergleichbaren Länder. Die Gewerbesteuer zu reformieren und die Gesamtbelastung der Unternehmen bei 25% zu deckeln wäre ein wichtiges Signal an Unternehmen im In- und Ausland, dass Deutschland als Investitionsstandort wieder attraktiver wird.

Vorschlag 8: EU-Vorschriften nicht verschärfen

Angesichts seiner Größe spielt Deutschland eine wichtige Rolle bei der Gestaltung der EU-Vorschriften, die den Großteil der Regeln für den Gemeinsamen Markt ausmachen. Dabei neigt Deutschland oftmals dazu, die Regeln noch zu verschärfen. Ein besonders krasses Beispiel ist das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, dass Deutschland noch vor einer entsprechenden Regel auf EU-Ebene im Alleingang verabschiedet hat. Das nationale Gesetz sollte Deutschland sofort aussetzen und stattdessen auf EU-Ebene dazu beitragen, die gemeinsamen EU-Vorschriften zu entschärfen. Ganz allgemein sollte Deutschland sich dazu verpflichten, EU-Regeln im Normallfall so großzügig statt so engstirnig wie möglich in nationales Recht zu übertragen.

Vorschlag 9: Eine rationale Einwanderungspolitik

Aufgrund einer Geburtenrate von 1,5 Kindern pro Frau, die weit unter der Rate von 2,1 liegt, um die Größe jeder Generation stabil zu halten, wird Deutschland noch sehr lange mit Arbeitskräftemangel zu kämpfen haben. Einwanderer können einen Unterschied machen. Das gilt insbesondere dann, wenn das Land mehr Menschen mit entsprechenden Qualifikationen anzieht, anstatt vor allem diejenigen aufzunehmen, die es ohne Einladung nach Deutschland geschafft haben. Die deutsche Einwanderungspolitik geht langsam in diese Richtung, indem sie die Hürden für qualifizierte Einwanderer senkt und gleichzeitig die Asylpolitik verschärft. Mehr ist möglich. Mit der Zeit würde eine besser kontrollierte Einwanderung auch die politischen Spannungen lindern, die mit der bisherigen Migrationspraxis einhergehen.

Vorschlag 10: Subventionen gezielt dosieren

Im Wettlauf um begehrte Hightech-Investitionen in bestimmten Sektoren (z. B. Mikrochips, Elektromobilität, Batterien) gibt Deutschland enorme Summen aus. Solche Subventionen können in Einzelfällen aus Gründen der nationalen Sicherheit und/oder des sicheren Zugriffs auf kritische Rohstoffe gerechtfertigt sein. Aber dafür braucht es klare Kriterien. Europäische Länder benötigen keine jeweils nationale Batterieindustrie. Sollten andere europäische Länder einen Sektor kräftig subventionieren, sollte Deutschland nicht ein künftiges Überangebot heraufbeschwören, indem es dasselbe tut – oder die von anderen Ländern im EU-Binnenmarkt angebotenen Subventionen noch überbietet.

Vorschlag 11: Mehr Regional- statt Strukturpolitik

Da in Deutschland der Arbeitskräftemangel im Trend weiter zunimmt, ergibt es keinen Sinn, Arbeitsplätze in bestimmten Sektoren zu erhalten, sofern dies nicht aus Gründen der nationalen Sicherheit unerlässlich ist. Allerdings wirft die Strukturschwäche in ländlichen Regionen abseits der florierenden Metropolen große soziale und politische Probleme auf. Das Gefühl, „abgehängt“ zu werden, trägt beispielsweise zur Attraktivität der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) bei. Öffentliche Förderprogramme sollten sich darauf konzentrieren, schwachen Regionen zu helfen, unter anderem durch eine bessere Verkehrsanbindung an die größeren Städte und großzügigere Transfers an benachteiligte Gemeinden, damit diese weiterhin grundlegende Dienstleistungen anbieten können. Das Leitmotiv sollte sein, Regionen zu stärken, statt bestimmte Arbeitsplätze zu subventionieren.

Vorschlag 12: Für eine bessere Schuldenbremse²

Eine Schuldenbremse im Grundgesetz macht Sinn. Ebenso wie die Unabhängigkeit der Zentralbank beschränkt sie den Handlungsspielraum von Parlament und Regierung. Aber in ihrer jetzigen Form droht Deutschlands Schuldenbremse, das Potenzial für Wachstum und Wohlstand sowie die nationale Sicherheit zu mindern, statt zu fördern.

Staatsschulden werden ebenso wie die Infrastruktur und andere Vermögenswerte von Generation zu Generation vererbt. Wird heute zu wenig für Infrastruktur und Bildung getan, leiden darunter kommende Generationen. Ebenso wie das Fremdkapital erfolgreicher Unternehmen müssen Staatsschulden nicht auf Null zurückgeführt werden. Stattdessen müssen sie in einem angemessenen Verhältnis zur aktuellen und künftigen Wirtschaftskraft stehen.

Im Normalfall sollten die Schulden langsamer wachsen als die Wirtschaftsleistung. Dann geht die Schuldenquote, also das Verhältnis von Schulden zum BIP, zurück. Dies schafft Spielraum für Notfälle. Aber die jetzige Regel, die den Ländern keine Nettokreditaufnahme erlaubt und die Neuverschuldung des Bundes auf nur 0,35% der Wirtschaftsleistung begrenzt, ist zu strikt. Die im Grundgesetz verankerte Pflicht, die zusätzlichen Pandemie- und Verteidigungsschulden nach einiger Zeit wieder zu tilgen, könnte den Bund ab dem Jahr 2028 sogar zu Überschüssen im laufenden Haushalt zwingen. Solch eine Rosskur ist weder realistisch noch wünschenswert. Wer öfters mit der Bahn fährt, kann dies nachvollziehen.

Eine sachgerechte Schuldenbremse sollte von der jetzigen Regel in vier großen Punkten abweichen:

  • Erstens wird der Deckel für das laufende Defizit von 0,35% auf 1% angehoben. Dann könnte die Schuldenquote im Trend weiter sinken.
  • Zweitens wird ein Anteil an dem zusätzlichen Spielraum den Bundesländern zugesprochen, beispielsweise 0,4 Prozentpunkte von den insgesamt 1% der Wirtschaftsleistung. Gerade Länder und Gemeinden müssen sich auf steigende Pensionslasten einstellen.³
  • Drittens darf die strukturelle Nettokreditaufnahme nicht die Nettoinvestitionen einschließlich der Ausgaben für Rüstungsgüter übersteigen.
  • Und viertens wird die Pflicht zur Tilgung von Sonderschulden ausgesetzt, sofern die Schuldenquote (ohne die Schulden aus dem Sonderfonds Verteidigung) insgesamt nicht 60% der Wirtschaftsleistung übersteigt.

Mein Vorschlag läuft darauf hinaus, die Schuldenbremse so um eine Investitionsregel zu ergänzen, dass der Staat langfristig mehr für Investitionen und Verteidigung ausgeben kann, ohne die Solidität der Staatsfinanzen zu gefährden. Damit die Investitionsregel greift, darf es allerdings nicht dem Gesetzgeber überlassen werden, wie er den Begriff der Investitionen jeweils auslegt. Stattdessen muss die Reform der Schuldenbremse eine bekannte und nicht vom Gesetzgeber zu beeinflussende Definition der Nettoinvestitionen nach Abschreibungen festlegen, beispielsweise die Definition der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen, wie sie vom Statistischen Bundesamt oder dem Statistischen Amt der Europäischen Union (Eurostat) verwandt wird.

Wahlprogramme im Vergleich

In der Tabelle auf der folgenden Seite vergleiche ich die Wahlprogramme der Parteien, die eine realistische Chance haben, nach den vorgezogenen Neuwahlen vom 23. Februar eine Regierung zu bilden. Alle Parteien wollen die Wirtschaft stärken. Aber SPD und Grüne, deren Programme sich ähneln, setzen eher auf Subventionen als auf viele der notwendigen Strukturreformen.

CDU/CSU gehen deutlich weiter in die Richtung angebotsorientierter Reformen, bleiben aber vielfach vage und schrecken an wichtigen Stellen vor vermeintlich unpopulären Schritten zurück. So möchte die Union vorerst doch den vorgezogenen Renteneintritt nach 45 Beitragsjahren („Rente mit 63“) beibehalten, obwohl die CDU sich ursprünglich dafür ausgesprochen hatte, diese für die Wirtschaft kostspielige Regel abzuschaffen. Auch grenzen einige Vorschläge (geringere Mehrwertsteuer für Restaurants) an Klientelpolitik.

Zudem fehlen ernsthafte Vorschläge zur Finanzierung der vorgeschlagenen Steuererleichterungen (Solidaritätszuschlag abschaffen, Unternehmenssteuer schrittweise auf 25% senken, Arbeitseinkünfte jenseits des Rentenalters bis zu 2000 Euro pro Monat steuerfrei) sowie der angestrebten Mehrausgaben für die Verteidigung. Dies deutet auf eine Bereitschaft der Union hin, die Schuldenbremse zu lockern.

Die Wahlprogramme von SPD und Grünen weisen große Überschneidungen auf. Beide Parteien wollen die Schuldenbremse lockern – allerdings nicht um wirtschaftsfreundliche Steuersenkungen zu ermöglichen (ihnen schweben höhere Steuern auf hohe Einkommen und Kapital vor), sondern um staatliche Investitionen sowie weitere Subventionen zu finanzieren. Auf der positiven Seite wünschen sich beide Parteien eine effizientere Verwaltung z.B. durch verstärkte Digitalisierung. Insbesondere die SPD schlägt auch beschleunigte Genehmigungsverfahren vor. Allerdings wollen weder die SPD noch die Grünen auf Regulierungen verzichten, wenn sie dadurch z.B. bei Sozialstandards oder Klimavorgaben Abstriche machen müssten. Zudem schlagen beide Parteien kaum maßgebliche Änderungen vor, um die Kosten des Sozialstaats oder des Flüchtlingszustroms einzugrenzen.

Das Programm der FDP enthält die meisten sachgerechten Vorschläge für Strukturreformen. Als einzige der vier Parteien der politischen Mitte schlägt die FDP eine grundlegende Neuausrichtung der kostspieligen deutschen Energiestrategie vor. Zudem strebt sie deutliche Einsparungen bei den Staatsausgaben an. Allerdings lässt das harte „nein“ zu einer Reform der Schuldenbremse offen, wie die umfangreichen Steuersenkungen und der notwendige dauerhafte Anstieg der Verteidigungsausgaben finanziert werden sollen. Insofern ist das Programm nicht hinreichend realistisch.

In der Tabelle bewerte ich die Aussagen der Parteien zu den von mir angesprochenen Reformbereichen auf einer Skala von 0 (gegen eine entsprechende Reform oder keine sachdienlichen Vorschläge in diese Richtung) bis 5 (weitgehende Übereinstimmung).

Reformvorschläge der Parteien im Check

Skala von 0 (dagegen oder keine relevanten Vorschläge) bis 5 (stark dafür) Quelle: Berenberg-Analyse der Programme; German elections update: what the parties want (24. Januar 2025).

Links zu den Wahlprogrammen:

¹ Diese Vorschläge habe ich etwas ausführlicher bereits am 17. Dezember 2024 erläutert „Was Deutschland braucht“. Die Themen greife ich auch im wöchentlichen Podcast Schmiedings Blick auf.

² Diesen Vorschlag habe ich etwas ausführlicher bereits am 7. Februar 2024 veröffentlicht. Siehe Für eine bessere Schuldenbremse.

³ Im Idealfall würde Deutschland die Reform der Schuldenbremse mit einer Reform des Länderfinanzausgleiches verbinden.

Autor

Dr. Holger Schmieding
Chefvolkswirt
Telefon +44 20 3207-7889