Das erste Mal seit 18 Jahren hat die europäische Notenbank ihren übergeordneten Strategierahmen umfassend überprüft. Der neue Ansatz spiegelt insbesondere folgende Kernaspekte zeitgemäßer Geldpolitik wider:
(1) Anhaltend geringe reale und nominale Zinssätze erfordern den Einsatz unkonventioneller geldpolitischer Instrumente.
(2) Die Sicherstellung des Transmissionsmechanismus der Geldpolitik über das Finanzsystem ist von überragender Bedeutung.
(3) Die Geldpolitik muss die Herausforderungen, die der Klimawandel mit sich bringt, angemessen berücksichtigen.
Wenngleich der modernisierte Strategierahmen überwiegend den Erwartungen entspricht, weist er eine leicht expansive Tendenz auf. So betont die EZB, dass besonders energische oder anhaltende geldpolitische Maßnahmen erforderlich sind, sobald die Leitzinsen nahe ihrer unteren Grenze liegen. Dies soll verhindern, dass sich negative Abweichungen vom Inflationsziel verfestigen. Damit einhergehen kann dann auch, dass die Inflation temporär moderat über dem Zielwert von 2% liegt. Allerdings zielt die EZB nicht bewusst darauf ab. Ein Durchschnittsinflationsziel im Sinne der amerikanischen Notenbank Fed ist dies also nicht. Dennoch signalisiert die EZB eine größere Toleranz gegenüber Zielabweichungen nach oben, als wir vorher erwartet haben. Unseren grundsätzlichen Ausblick auf den künftigen Kurs der europäischen Geldpolitik beeinflusst dies nicht. Wir rechnen damit, dass die Inflation in 2021 und 2022 höher sein wird, als es den Prognosen der EZB entspricht. Deshalb erwarten wir, dass die EZB früher beginnen wird, ihre Geldpolitik zu normalisieren, als sie es gegenwärtig selbst von sich zu erwarten scheint. Vermutlich wird sie ihre Nettoankäufe im Rahmen des Pandemienotfallprogramms („PEPP“) im Frühjahr 2022 und ihre sonstigen Nettoankäufe im September 2023 einstellen sowie ihre Leitzinsen erstmals im Dezember 2023 anheben.