Die Nachricht betrifft drei der potenziellen Risiken, die wir in unserem jüngsten Risikoüberblick angesprochen haben:
- Erstens könnte der Anstieg der Unsicherheit einen großen Schock für die Aktien- und andere Risikomärkte wie z. B. den Kreditmarkt bedeuten.
- Zweitens könnte die europäische Wirtschaft zeitweilig einen spürbaren Rückschlag erleiden. Negative Schocks für das Unternehmens- und Verbrauchervertrauen sowie noch höhere Energiepreise und damit eine höhere Inflation würden das Wachstum in nächster Zeit dämpfen.
- Drittens könnten die Märkte sogar befürchten, dass die Zentralbanken – insbesondere die Fed – in einer derartigen Situation der Unsicherheit auf eine erhöhte Inflation überreagieren könnten. Solche Sorgen wären allerdings verfrüht. Ob eine Zentralbank lediglich den Fuß vom Gaspedal genommen oder zu stark auf die Bremse getreten hat, zeigt sich in der Regel erst gegen Ende und nicht schon zu Beginn eines Zinserhöhungszyklus. Stattdessen würden westliche Zentralbanken notfalls intervenieren, um sicherzustellen, dass die Geld- und Kredit-märkte ausreichend reibungslos funktionieren.
Die wichtigsten Schlagzeilen heute früh:
- Russische Streitkräfte haben mehrere Städte in der Uk-raine mit Raketen angegriffen; in Kiew gab es Berichte über Explosionen und Schüsse.
- US-Präsident Biden hat angekündigt, dass er sich mit den Staats- und Regierungschefs der G7-Staaten treffen wird, um über weitere Sanktionen gegen Russland zu entscheiden.
- Russische Medien berichten, dass russische Streitkräfte ukrainische Militärinfrastruktur und Luftwaffenstützpunkte angegriffen haben (via Reuters).
- Ukrainische Medien berichten, dass russische Truppen in den südlichen Hafenstädten Odessa und Mariupol gelandet sind (via Reuters).
Fragen über die unmittelbare Nachrichtenlage hinaus
Unsere Einschätzung beruht auf der Grundannahme, dass Russland kein NATO-Mitglied angreift, was selbst die Sow-jets nie getan haben, und dass der Krieg somit eine russische Invasion in der Ukraine bleibt. Eine der großen Fragen, die sich die Welt darüber hinaus stellen könnte, ist, wie China die westliche Reaktion bewerten wird und wie sich dies auf seine Haltung gegenüber Taiwan auswirken könnte. Wir stu-fen einen hypothetischen chinesischen Angriff auf Taiwan als das größte geopolitische Risiko ein, das weitaus schwer-wiegendere Folgen für die Weltwirtschaft und die globalen Märkte hätte. Mehr dazu finden Sie auf den Seiten 7-8 unserer Risikopräsentation.
Mögliche Folgen des russischen Einmarschs in die Ukraine
Der folgende Text wiederholt weitgehend unsere am 22. Februar veröffentlichte Einschätzung der möglichen Folgen eines russischen Einmarsches in der Ukraine.
Kurzfristige Folgen (1-2 Monate)
- Risk-off-Modus an den Märkten, da die Unsicherheit ungewöhnlich hoch ist. Die Märkte dürften sich weitgehend erholen, sobald der Ausblick klarer wird.
- Vorübergehender Rückschlag für das Geschäftsklima und Verbrauchervertrauen in Europa.
- Der ansonsten kräftige wirtschaftliche Wiederaufschwung nach der Omikron-Welle der Pandemie verzögert sich um bis zu zwei Monate. Eine Rezession in der Eurozone (BIP-Rückgang in zwei aufeinander folgenden Quartalen) ist aber unwahrscheinlich.
- Die Energieinflation steigt etwas weiter. Europa ist aber nicht mehr so anfällig wie im Dezember, da der Winter weitgehend vorbei ist.
- Die EZB und die Bank of England würden auf ihren März-Sitzungen vorsichtiger vorgehen und noch stärker betonen, dass sie beim Straffen der Geldpolitik flexibel bleiben.
- Schwierigere Zeiten für Russland-Freunde wie Marine Le Pen in Frankreich (Wahlen im April).
Mittelfristige Folgen (3-12 Monate)
- Die Märkte kehren weitgehend zu den vorausgegangenen Trends zurück.
- Das Wirtschaftswachstum in Europa springt nach der Omikron-Krise bei sich langsam auflösenden Lieferengpässen wieder an.
- Die Inflation bleibt aufgrund etwas höherer Energiepreise auf leicht höherem Niveau (um ca. 0,3 Prozentpunkte).
- Die Geldpolitik schwenkt wieder auf den Kurs ein, der sich vor der Ukraine-Eskalation abzeichnete.
- Aufgrund der Sanktionen, der Selbstisolierung und der Kosten der teuren Expansionspolitik nehmen die wirtschaftlichen Probleme in Russland allmählich zu.
- Deutlich stärkerer politischer Zusammenhalt innerhalb der EU und der NATO als Reaktion auf die russische Bedrohung.
Langfristige Folgen (über ein Jahr hinaus)
- Keine wesentlichen Auswirkungen auf das Wachstum in Europa.
- Schnellere Diversifizierung weg von russischem Öl und Gas, stattdessen mehr Ausgaben für erneuerbare Energien plus Kernenergie und für Wasserstoff zur Energiespeicherung.
- Höhere Militärausgaben in der westlichen Welt.
- Die rechtspopulistische Herausforderung für den Zusammenhalt der EU nimmt ab, da Putins Russland seine Anziehungskraft und die Mittel zur Finanzierung seiner Anhänger unter den europäischen Populisten verliert.
- Die geopolitischen Auswirkungen hängen zum Teil von den US-Wahlen 2024 ab: Sieg der Gemäßigten = Stärkung der NATO; Rückkehr des Trump'schen "America first" = starke Belastung des amerikanisch-europäischen Bündnisses.
- Fortschreitende Schwächung der russischen Wirtschaft, die – wie zuvor die Sowjetunion – immer weiter hinter Europa und die USA zurückfällt (siehe: The Russia gap: „Chart of the week“ vom 18. Februar 2022).