Putins Aggression: Mögliche Auswirkungen

Chefvolkswirt Dr. Holger Schmieding skizziert die möglichen Folgen einer russischen Invasion in die freie Ukraine.

Wladimir Putin geht weiter auf Eskalationskurs. Er hat die Separatisteneinheiten in den ukrainischen Regionen Donezk und Luhansk als "unabhängig" anerkannt und schickt russische Streitkräfte in diese Regionen – eine klare Verletzung des Völkerrechts und des Minsker Abkommens. Die USA haben mit ersten Sanktionen reagiert, europäische und weitere US-Sanktionen werden voraussichtlich heute folgen. Eine große Unsicherheit bleibt: Nur Putin kann wissen, ob er hier aufhört – oder ob er mit der offenen Verlegung russischer Truppen in den Donbass einen weiteren Schritt in Richtung Invasion geht. Wenn er hier aufhört, würden die Sanktionen die russische Wirtschaft mit der Zeit schwächen. Für die westliche Welt wären die Folgen aber nur sehr begrenzt. Die Märkte würden sich nach einiger Zeit wieder normalisieren. Da sich Putin jedoch auf Eskalationskurs befindet, skizzieren wir nachfolgend die möglichen Folgen einer russischen Invasion in die freie Ukraine.

Ein russischer Krieg gegen die Ukraine wäre eine menschliche Tragödie und wohl die schlimmste Bedrohung der globalen Sicherheit seit der Kubakrise 1962. Die potenziellen wirtschaftlichen, finanziellen und politischen Folgen für Europa könnten in drei Phasen auftreten:

1-2 Monate

Kurzfristige Folgen

  • Risk-off-Modus an den Märkten, da die Unsicherheit ungewöhnlich hoch ist. Die Märkte dürften sich weitgehend erholen, sobald der Ausblick klarer wird.
  • Vorübergehender Rückschlag für das Geschäftsklima und Verbrauchervertrauen in Europa.
  • Der ansonsten kräftige wirtschaftliche Wiederaufschwung nach der Omikron-Welle der Pandemie verzögert sich um bis zu zwei Monate. Eine Rezession in der Eurozone (BIP-Rückgang in zwei aufeinander folgenden Quartalen) ist aber unwahrscheinlich.
  • Die Energieinflation steigt etwas weiter. Europa ist aber nicht mehr so anfällig wie im Dezember, da der Winter weitgehend vorbei ist.
  • Die EZB und die Bank of England würden auf ihren März-Sitzungen vorsichtiger vorgehen und noch stärker betonen, dass sie beim Straffen der Geldpolitik flexibel bleiben.
  • Für Europa wäre es ein politischer Schock.
  • Schwierigere Zeiten für Russland-Freunde wie Marine Le Pen in Frankreich (Wahlen im April).


3-12 Monate

Mittelfristige Folgen

  • Die Märkte kehren weitgehend zu den vorausgegangenen Trends zurück.
  • Das Wirtschaftswachstum in Europa springt nach der Omikron-Krise bei sich langsam auflösenden Lieferengpässen wieder an.
  • Die Inflation bleibt aufgrund etwas höherer Energiepreise auf leicht höherem Niveau (um ca. 0,3 Prozentpunkte).
  • Die Geldpolitik schwenkt wieder auf den Kurs ein, der sich vor der Ukraine-Eskalation abzeichnete.
  • Aufgrund der Sanktionen, der Selbstisolierung und der Kosten der teuren Expansionspolitik nehmen die wirtschaftlichen Probleme in Russland allmählich zu.
  • Deutlich stärkerer politischer Zusammenhalt innerhalb der EU und der NATO als Reaktion auf die russische Bedrohung.


Über ein Jahr hinaus

Langfristige Folgen

  • Keine wesentlichen Auswirkungen auf das Wachstum in Europa.
  • Schnellere Diversifizierung weg von russischem Öl und Gas, stattdessen mehr Ausgaben für erneuerbare Energien plus Kernenergie und für Wasserstoff zur Energiespeicherung.
  • Höhere Militärausgaben.
  • Die rechtspopulistische Herausforderung für den Zusammenhalt der EU nimmt ab, da Putins Russland seine Anziehungskraft und die Mittel zur Finanzierung seiner Anhänger unter den europäischen Populisten verliert.
  • Die geopolitischen Auswirkungen hängen zum Teil von den US-Wahlen 2024 ab: Sieg der Gemäßigten = Stärkung der NATO; Rückkehr des Trump'schen "America first" = starke Belastung des amerikanisch-europäischen Bündnisses.

Unsere Basisannahme für dieses Szenario: Russland greift kein NATO-Mitglied an. Das hatten nicht einmal die Sowjets getan.

In jedem Fall wird der Umgang mit einem schwer bewaffneten Russland, das sich in einem relativen wirtschaftlichen Niedergang befindet, auf absehbare Zeit eine zentrale Herausforderung für Europa und die USA sein. Putin und seine Clique ehemaliger KGB-Funktionäre, oftmals "Silowki" genannt, scheinen mehr Angst vor der Demokratie in der Ukraine zu haben als vor der Durchsetzungskraft des autokratisch regierten Chinas. Da Moskau seine verbliebenen Halbliberalen immer mehr ins Abseits drängt, könnte ein wirtschaftlich immer weiter schwächelndes Russland anfälliger werden, sich langfristig in einen Vasallen Pekings zu verwandeln.

Dr. Holger Schmieding
Chefvolkswirt
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Quitzau Jörn
Dr. Jörn Quitzau
Leiter Wirtschaftstrends
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