Themen der Zeit | 10. Feb 2025

Ein Waffenstillstand in der Ukraine: Das unterschätzte Markt-Narrativ

Lesedauer: 4 MIN

Während die Märkte zuletzt von Themen wie Künstlicher Intelligenz, Handelskriegen und Zöllen dominiert wurden, bleibt eine potenziell ebenso marktbewegende Entwicklung weitgehend unbeachtet: Ein möglicher Waffenstillstand in der Ukraine. Die Kapitalmarktexperten von Berenberg sehen bislang kaum Anzeichen dafür, dass Investoren die wirtschaftlichen und finanziellen Folgen eines solchen Szenarios adäquat einpreisen. In einem aktuellen Marktkommentar beleuchten sie die möglichen Konsequenzen in einer Szenarioanalyse.

„Die Auswirkungen eines möglichen Waffenstillstands in der Ukraine werden an den Finanzmärkten unterschätzt,“ sagte Prof. Dr. Bernd Meyer, Chefanlagestratege und Leiter Multi Asset. „In den nächsten Wochen stehen richtungsweisende Termine auf der politischen Agenda, die dies ändern könnten. Neue Vorschläge der US-Regierung oder die Bundestagswahl in Deutschland könnten politische Impulse setzen, mit denen eine diplomatische Lösung in der Ukraine an Fahrt gewinnen könnte. Die Marktreaktionen hierauf dürften deutlich ausfallen. Marktteilnehmer sollten sich also auf dieses Szenario vorbereiten.“

Ulrich Urbahn, Leiter Multi Asset Strategy & Research, ergänzte: „Künstliche Intelligenz, der Blick in die USA sowie Handelskonflikte haben zuletzt die Wahrnehmung der globalen Anleger geprägt. Mit einem potenziellen Waffenstillstand in der Ukraine könnte sich bald ein neues Narrativ durchsetzen. Sowohl politisch als auch wirtschaftlich hätte eine Verhandlungslösung am grünen Tisch weitreichende Konsequenzen für die geopolitischen Rahmenbedingungen in der Welt. Für Anleger könnten sich insbesondere in Europa Chancen ergeben.“

Politische Katalysatoren stehen bevor

In den kommenden Wochen könnten zwei entscheidende Ereignisse den diplomatischen Prozess in Bewegung bringen:

  • Die Münchner Sicherheitskonferenz (14.–16. Februar 2025): Hier wird die Trump-Regierung laut Bloomberg einen Plan präsentieren, der eine Einfrierung des Konflikts, Sicherheitsgarantien für die Ukraine und potenzielle Wahlen nach einem Waffenstillstand umfassen könnte.
  • Die deutschen Bundestagswahlen (23. Februar 2025): Deutschland gehört zu den größten Unterstützern der Ukraine. Nach der Wahl könnte die europäische Seite schneller zu einer Verhandlungslösung kommen. Während diese Entwicklungen nicht zwangsläufig zu einem sofortigen Frieden führen, könnte bereits eine veränderte Wahrnehmung des Krieges am Markt bedeutende Verschiebungen auslösen.

Welche Auswirkungen hätte ein möglicher Waffenstillstand auf die Märkte?

Europa und der Euro

Der Euro hat seit der Invasion etwa 10 % an Wert verloren. Ein Ende der Kampfhandlungen könnte das Marktnarrativ von „Euro-Schwäche“ auf „Euro-Erholung“ drehen – mit positiven Effekten für europäische Vermögenswerte. Trotz positiver Entwicklung in den letzten zwei Monaten sind europäische Aktien im internationalen Vergleich unverändert günstig bewertet und internationale Anleger sind in Europa kaum positioniert.

Europäische Aktienmärkte

Während sich breite Indizes wie der DAX seit Kriegsbeginn kräftig erholt haben, gibt es weiterhin Sektoren, die stark unter dem Krieg gelitten haben. Unternehmen mit hohem Energiebedarf oder starker Abhängigkeit von Osteuropa könnten durch einen Frieden erheblich profitieren. Insbesondere Maschinenbau- und Grundstoffunternehmen könnten vom Wiederaufbau der Ukraine profitieren.

China als unerwarteter Profiteur?

Sollte China eine Vermittlerrolle zwischen den USA und Russland einnehmen, könnten chinesische Märkte einen Schub erhalten. Ein geopolitischer Sieg Pekings in der Ukraine-Frage wäre ein starkes Signal für internationale Investoren.

Anleihen & Inflation

Der Ukraine-Krieg war ein bedeutender Inflationstreiber – durch gestörte Lieferketten, steigende Energiepreise und hohe Staatsausgaben für militärische Unterstützung. Ein Waffenstillstand könnte als disinflationäres Signal wahrgenommen werden, was wiederum Anleihen attraktiver machen könnte.

Wer könnte zu den Verlierern gehören?

Energiesektor

Sollten russische Energielieferungen wieder anlaufen, könnten die Preise für Öl und Gas unter Druck geraten. Unternehmen, die stark von den Energieexporten in die EU profitiert haben, müssten sich auf Turbulenzen einstellen.

Rüstungsindustrie

Aktien von Rüstungsunternehmen haben seit Kriegsbeginn massiv zugelegt, einige um mehrere hundert Prozent. Bei einem Waffenstillstand könnten diese Titel kurzfristig stark unter Druck geraten.

Edelmetalle

Gold gilt als „sicherer Hafen“ in geopolitischen Krisen und hat seit Kriegsbeginn rund 50 % zugelegt. Eine Deeskalation des Konflikts könnte den Goldpreis zumindest temporär belasten.

Fazit

Noch ist ein Waffenstillstand in der Ukraine kein Hauptthema an den Finanzmärkten – doch die politische Agenda der nächsten Wochen könnte dies ändern. Sollte eine diplomatische Lösung an Fahrt gewinnen, könnten sich Marktreaktionen rasch und unerwartet stark entfalten. Während viele Investoren weiterhin auf KI oder Handelskonflikte blicken, könnte sich bald ein völlig neues Narrativ durchsetzen – eines, das nicht nur politische, sondern auch wirtschaftliche Konsequenzen hätte. Der Markt ist möglicherweise noch nicht darauf vorbereitet.

Autor

Prof Dr Bernd Meyer
Prof. Dr. Bernd Meyer
Chefanlagestratege und Leiter Multi Asset
Telefon +49 69 91 30 90-225
Urbahn Ulrich
Ulrich Urbahn
Leiter Multi Asset Strategy & Research

Über Berenberg

Berenberg wurde 1590 gegründet und gehört heute mit den Geschäftsbereichen Wealth and Asset Management, Investmentbank und Corporate Banking zu den führenden europäischen Privatbanken. Das Bankhaus mit Sitz in Hamburg wird von persönlich haftenden Gesellschaftern geführt und hat eine starke Präsenz in den Finanzzentren Frankfurt, London und New York.

Timo Lüllau-Mortensen
Head of Communications
Telefon +49 69 91 30 90-515
Famke Lohmann
Communications
Telefon +49 40 350 60-2287
Matthias Weitkämper
Communications
Telefon +49 69 91 30 90-1194