Auf den Punkt
Die Weltkonjunktur verliert erheblich an Schwung.
USA: weiche Landung voraus, neuer Schwung Mitte 2024.
Europa: Stagflation bis zum Frühjahr 2024.
Der Inflationsdruck geht weiter zurück – aber nicht auf 2 %.
Notenbanken: Das Ende des Zinszyklus ist erreicht.
Eine gespaltene Konjunktur
In großen Teilen der Welt bläst dem verarbeitenden Gewerbe derzeit der Wind ins Gesicht. Da die Verbraucher während der Pandemie mehr auf Dienstleistungen als auf Güter verzichten mussten, haben sie jetzt bei Reisen, Restaurantbesuchen und anderen Dienstleistungen einen größeren Nachholbedarf als bei Gütern. Das Ergebnis ist eine ungewöhnliche Kluft zwischen einer robusten Nachfrage nach Dienstleistungen und einer ausgeprägten Schwäche im verarbeitenden Gewerbe. Dazu kommt, dass viele Unternehmen rund um die Welt Ende 2022 und Anfang 2023 das Ende der ausgeprägten Lieferkettenengpässe genutzt haben, um Lagerbestände an Vor- und Fertigprodukten aufzubauen. Angesichts einer schwächelnden Nachfrage aus den USA, China und Europa bauen sie jetzt ihre Lagerbestände wieder ab. Vorläufig produzieren sie also weniger, als sie verkaufen.
Allerdings dauert es oftmals nur zwei bis drei Quartale, bis sie ihre Lager hinreichend geräumt haben. Wir rechnen damit, dass das verarbeitende Gewerbe Ende 2023 den Tiefpunkt erreicht haben wird und kurz danach ein neuer Aufschwung einsetzen kann.
Sanfte Landung in den USA
Trotz der energischen Zinswende der US-Fed hält sich die US-Konjunktur weiterhin besser als erwartet. Der besonders zinssensible Wohnungsbau scheint sich nach einem Einbruch von 23 % gegenüber Anfang 2021 langsam zu stabilisieren. Der Arbeitsmarkt verliert zwar immer mehr an Schwung. Damit nehmen auch die Lohnzuwächse der privaten Verbraucher ab. Aber dank eines kräftigen Rückgangs der Inflation steigt ihre Kaufkraft, die sich aus ihren verfügbaren Einkommen nach Abzug der Inflation ergibt. Dies stützt den privaten Konsum.
Statt mit einer Mini-Rezession zum Jahreswechsel rechnen wir für die USA jetzt mit einer sanften Landung, also einer Phase von schwachem Wachstum weit unterhalb der Trendrate von knapp 2 %, aber eben nicht mehr mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung. Die weltweite Schwäche im verarbeitenden Gewerbe trifft die USA weniger als Europa. Ab Mitte 2024 dürfte eine weniger straffe Zinspolitik die konjunkturellen Aufwärtskräfte stärken. Angesichts einer strukturell hohen Nachfrage nach Wohnraum kann auch der Wohnungsbau vermutlich ab Frühjahr 2024 wieder zulegen. Die Fiskalpolitik trägt ebenfalls zum Zuwachs der Nachfrage bei. Wir erwarten deshalb, dass die US-Wirtschaft Mitte 2024 wieder eine annualisierte Wachstumsrate von 2 % erreicht.
Durchwachsener Ausblick für Europa
Zwei sehr unterschiedliche Kräfte prägen den Ausblick für die europäische Konjunktur für die kommenden Monate. Einerseits hat der Kontinent den Putin-Schock gut überstanden. Bei rückläufiger Inflation, einem stabilen Arbeitsmarkt und höheren Lohnzuwächsen steigen die Einkommen der Verbraucher seit dem zweiten Quartal wieder stärker als die Preise. Die Verbraucher haben damit real – also nach Abzug der Inflation – wieder mehr Geld in der Tasche. Dies hat sich im Sommer bereits in einer lebhaften Reisetätigkeit gezeigt. Andererseits steckt das verarbeitende Gewerbe in einer Rezession. Die schwache Weltnachfrage nach Gütern sowie die Lagerkorrektur trifft insbesondere Länder wie Deutschland, die sich auf die Ausfuhr von Waren spezialisiert haben. Nach einer Stagnation im Sommer dürfte die Wirtschaftsleistung in der Eurozone im Schlussquartal etwas zurückgehen.
Europa: Rückenwind aus dem Inland – heftiger Gegenwind aus Übersee
Für das kommende Jahr zeichnet sich allerdings ein neuer Aufschwung ab. Wir rechnen damit, dass die Lagerkorrektur im verarbeitenden Gewerbe Ende 2023 auslaufen wird. Viele Unternehmen halten sich derzeit angesichts großer Unsicherheiten mit Investitionen zurück. Sobald die Konjunktur wieder etwas Tritt fasst, werden sie im kommenden Jahr wieder mehr ausgeben, um Lieferketten neu zu strukturieren und knappe Arbeitskräfte zu ersetzen. Obwohl China strukturell schwach bleiben wird, kann die Ausfuhr nach China im kommenden Jahr vermutlich wieder leicht zulegen. Schließlich dürfte China 2024 mit etwa 3–4 % wachsen. Spätestens Mitte 2024 könnte dann mit der Rückkehr der US-Wirtschaft zu normalem Wachstum auch die Konjunktur in Europa wieder an die Dynamik der Zeit vor dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine anknüpfen. Für Großbritannien rechnen wir mit einem ähnlichen Verlauf wie für die Eurozone.
Die Inflation geht weiter zurück
Auf beiden Seiten des Atlantiks lässt der Preisdruck weiter nach, in den USA schneller als in Europa. Da in den USA der Arbeitsmarkt weiter an Schwung verliert, nimmt dort der Lohndruck langsam ab. Dagegen werden die Löhne in der Eurozone im Jahr 2023 wohl um mindestens 5 % steigen, bevor der Lohnanstieg dann im Laufe des Jahres 2024 wieder auf etwa 4 % zurückgehen dürfte. In den USA und Europa werden die Inflationsraten tendenziell weiter sinken. Die wieder etwas höheren Ölpreise unterbrechen dies nur kurzzeitig. Der Höhepunkt der Nahrungsmittelpreisinflation ist überschritten. Da die Transportkosten gesunken sind, wird bei schwacher Nachfrage nach Gütern der Preisdruck in diesem Bereich ebenfalls nachlassen. Allerdings werden die höheren Lohnzuwächse in Europa die Preise für lohnintensive Dienstleistungen weiter in die Höhe treiben, so dass sich die Inflation in Europa ab Q4 2024 wohl bei etwa 2,5 % einpendeln wird statt bei den etwa 1,5 % in den Jahren vor der Pandemie. Auch für die USA erwarten wir Inflationsraten nahe bei 2,5 % für 2024 und 2025.
Zentralbanken – Zinsgipfel (fast) erreicht
Der weniger robuste Arbeitsmarkt in den USA und die schwächere Konjunktur werden die US-Fed und die EZB vermutlich davon abhalten, ihre bereits hohen Leitzinsen weiter (spürbar) anzuheben. Sobald die konjunkturelle Schwächephase den Inflationsdruck hinreichend gedämpft hat, wird die Fed dann die Zinsen ab Frühjahr 2024 wieder etwas senken, während die EZB angesichts einer Inflation von weiterhin über 2 % ihre Zinspolitik im kommenden Jahr wahrscheinlich nicht lockern wird.