Auf den Punkt
Robustes US-Wachstum, Liquiditäts-entzug und starke Emissions-tätigkeit trieben US-Realrenditen auf das höchste Niveau seit 2009. Dies bremste Aktien und Anleihen zeitgleich. Sie zeigten einen starken Gleichlauf. Rohstoffe erholten sich.
Positive Wirtschaftsimpulse sind im vierten Quartal nicht wahrscheinlich. Trotz späterer und eventuell nur milder US-Schwäche dürfte deren Ausmaß das zentrale Thema werden.
Anleiherenditen dürften nicht mehr stark steigen. Rohstoffe haben nach der Erholung weniger Potenzial und Aktien scheinen vorerst gedeckelt mit dem Risiko einer deutlicheren Korrektur. Das Hin und Her der letzten Monate geht weiter.
Portfoliopositionierung auf einen Blick
Seit Ende Februar sind wir bei Aktien leicht und seit dem zweiten Quartal moderat untergewichtet. Das war zu früh. Amerikanische Aktien haben sich bis in den Juli positiv entwickelt. Die Untergewichtung war aber zumindest die letzten Monate gut. Wir fühlen uns mit dieser Aufstellung weiterhin wohl. Für einen Ausbau der Aktienposition bräuchten wir entweder eine deutlichere Korrektur oder einen absehbaren Konjunkturaufschwung beidseits des Atlantiks bei niedrigerer Inflation. Die Duration auf der Anleiheseite haben wir angesichts der Konjunkturrisiken und des absehbaren Endes der Zinserhöhungen auf neutral angehoben. Zudem haben wir uns von einigen riskanteren Anleihepositionen zugunsten von sichereren, beispielsweise Pfandbriefen, verabschiedet, denn die Risikoprämien könnten sich bei Konjunkturschwäche erneut ausweiten. Insgesamt haben wir das Kreditrisiko zugunsten des Zinsrisikos reduziert. Schwellenländeranleihen, besonders in Lokalwährung, bleiben aber attraktiv. Zyklische Rohstoffe haben nach der jüngsten Erholung kein deutliches Aufholpotenzial mehr. Wir haben die Position taktisch leicht reduziert. Sie bleiben als Diversifikator in einem Umfeld erhöhter Inflation(svolatilität) und aufgrund der strukturellen Nachfrage durch die Energiewende aber strategisch interessant. Auch Gold bleibt angesichts der erhöhten Risiken übergewichtet.Drittes Quartal: „High(er) for longer“-Narrativ beflügelte Realrenditen und bremste Aktien und Staatsanleihen
Die Entwicklungen aus dem zweiten Quartal setzten sich zunächst fort. Dank robuster US-Wirtschaft legten US-Aktien und deren Bewertungen weiter zu und ignorierten, wie bereits seit Mai, die hohen und weiter steigenden Realzinsen.
Im August drehte das Bild. Bei weiter robuster US-Konjunktur, wieder steigenden Öl- und Industriemetallpreisen und einer immer noch hohen Kerninflation preisten die Märkte die erwarteten schnellen Zinssenkungen durch die US-Zentralbank aus. Trotzdem versteilerte sich die Zinskurve. Denn die Realrendite 10-jähriger inflationsindexierter US-Staatspapiere kletterte auf knapp 2 %, das höchste Niveau seit 2009, getrieben auch durch starke Emissionstätigkeit (Haushaltsdefizit) und den Liquiditätsentzug (QT). Dies belastete Aktien und Anleihen zeitgleich – Aktien und Staatsanleihen kehrten zu einer positiven Korrelation zurück, Aktienmärkte verloren von der Spitze ca. 5 %, höher bewertete Technologietitel litten besonders und Rohstoffpreise erholten sich – die Märkte erlebten ein kleines „Revival“ der Entwicklungen des Jahres 2022. Der Anstieg der Aktienvolatilität blieb aber begrenzt, so dass hoch positionierte systematische Anleger nur in begrenztem Ausmaß Aktien abbauten. Zu einer Volatilitätsspitze, die eine Verkaufswelle durch Systematiker und damit eine deutlichere Korrektur ausgelöst hätte, kam es nicht.
US-Daten drehen — US-Wirtschaft setzt zur Landung an
Der Wirtschaftsabschwung in den USA hat bisher auf sich warten lassen – Konjunkturdaten haben dort anders als in der Eurozone oder in China auch im dritten Quartal positiv überrascht.
Aber auch in den USA verdichten sich nun die Anzeichen einer Wirtschaftsabkühlung. Nicht zuletzt hat die Geldpolitik mit einem positiven realen Zentralbankzins von mehr als 1,5 % (Fed-Zins in Höhe von 5,25–5,50 % vs. einer Konsumentenpreisinflation in Höhe von 3,7 % im August) in den letzten Monaten ein restriktives Niveau erreicht. Die US-Arbeitslosenquote ist vom Tiefpunkt von 3,4 % im Mai auf 3,8 % im August angestiegen. Auch wenn parallel die Partizipationsquote etwas stieg, zeigt der Arbeitsmarkt Zeichen einer Abkühlung. Für Europa ist vor diesem Hintergrund in den kommenden Monaten auch keine Erholung zu erwarten. Nach der Welle massiver Enttäuschungen seit dem Frühjahr dürften die negativen Überraschungen aber abebben. Deutlich positive Konjunkturimpulse aus China zeichnen sich ebenso nicht ab, solange es nicht zu stärkeren Stimulierungsmaßnahmen kommt. Für die Märkte dürften damit im vierten Quartal kaum positive Signale von der Wirtschaft kommen und es dürfte die Frage nach der Stärke der US-Abschwächung im Fokus stehen.
Anleihen sicherer Emittenten könnten profitieren
Vor diesem Hintergrund dürften sich in Q4 sichere Häfen wie Staatsanleihen besser als Risikoanlagen entwickeln. Solange sich die Inflation nicht wieder verfestigt, was angesichts des deutlichen Rohstoffpreisanstiegs ein Risiko ist, dürften Anleiherenditen – wenn überhaupt – nur noch wenig steigen, während die laufende Verzinsung bereits attraktiv ist. Sollte sich die US-Wirtschaft deutlicher abschwächen, dürften sichere Anleihen deutlicher profitieren – das ist ein attraktives asymmetrisches Renditeprofil, zumal spekulative Anleger starke Shortpositionen in US-Staatsanleihen aufweisen und 10-jährige US-Staatsanleihen eine Realverzinsung von ca. 2 % aufweisen. Anleger aus dem Euroraum dürfen aber das Währungsrisiko nicht vergessen. Der US-Dollar ist weiter stark überbewertet und dürfte über die mittlere bis längere Frist deutlich abwerten. Alternativ kostet die Währungsabsicherung. Die Realrendite auf 10-jährige Bundesanleihen ist aber gerade mal positiv bei 0,2 %. Pfandbriefe und Unternehmensanleihen hoher Qualität bieten mehr Ertrag und wir bevorzugen sie in Europa. Die Risikoaufschläge haben sich allgemein deutlich eingeengt, so dass hier das Risiko steigender Spreads besteht. Kürzere Laufzeiten sind hier zu bevorzugen. Zinsduration sollte also über sichere Anleihen aufgebaut werden. Insgesamt bevorzugen wir zwar Anleihen gegenüber Aktien, aber ein starkes absolutes Übergewicht liegt auch angesichts der weiter hohen Zinsvolatilität nicht nahe.
Ausbruch von Aktien nach oben vorerst unwahrscheinlich
Die Bewertungen besonders von US-Aktien sind im historischen Vergleich deutlich erhöht – trotz der hohen Anleiherenditen. Die optimistischen Gewinnschätzungen für 2024, getrieben durch eine starke erwartete Ausweitung der Gewinnmargen, erschweren zudem positive Überraschungen. Zugegeben, die Produzentenpreisinflation kommt derzeit schneller herunter als die Konsumentenpreisinflation, ein klassischer Margentreiber. Aber die Konsumenten werden vorsichtiger. Bei einer deutlicheren Wirtschaftsabschwächung drohen eher Reduktionen der Gewinnerwartungen. Die Unterstützung durch Aktienfondszuflüsse hält sich weiterhin sehr in Grenzen und systematische, risikobasierte Anlagestrategien sind hoch in Aktien positioniert. Das spricht für eine Fortsetzung des Hin und Hers der letzten zwei bis drei Monate mit dem Risiko einer deutlicheren Korrektur, sollte ein Volatilitätsanstieg einen Abverkauf durch Systematiker auslösen. Es ist zwar vorstellbar, dass mit den volkswirtschaftlichen Ausblicken für 2024 zum Jahresende der Blick der Anleger bereits auf einen möglichen globalen Aufschwung 2024 wechselt – insbesondere sollte sich die US-Wirtschaft bis dahin wirklich deutlicher abgekühlt haben und die Inflation niedriger sein. Dies ist aus unserer Sicht aber weniger wahrscheinlich geworden.
Das erwartete Umfeld spricht dafür, dass Anleger wieder verstärkt auf die Qualität der Unternehmensgewinne und das strukturelle Gewinnwachstum achten dürften. Dies in Verbindung mit stabilen oder fallenden Anleiherenditen sollte es Qualitäts- und Wachstumsaktien im vierten Quartal erlauben, sich relativ wieder besser zu entwickeln. Ohne Anlegerfokus auf eine wirtschaftliche Erholung dürften sich Small Caps hingegen trotz der attraktiven Bewertungen vorerst weiter schwerer tun.
Autor
Prof. Dr. Bernd Meyer
Prof. Dr. Bernd Meyer ist seit Oktober 2017 Chefanlagestratege bei Berenberg und dort im Wealth and Asset Management für die diskretionären Multi-Asset-Strategien sowie die Vermögensverwaltungsmandate zuständig. Prof. Dr. Bernd Meyer war zunächst Leiter der Europäischen Aktienstrategie bei der Deutschen Bank in Frankfurt und London und baute ab 2010 als Bereichsleiter das globale Cross Asset Strategy Research bei der Commerzbank auf. Prof. Dr. Meyer wurde mehrfach ausgezeichnet. So rangierte er mit seinem Team beim renommierten Extel Survey in den Jahren 2013 bis 2017 jeweils unter den besten drei Multi Asset Research Teams weltweit. Prof. Dr. Meyer ist DVFA Investment Analyst, CFA-Charterholder und Gastdozent für „Empirische Kapitalmarktforschung“ an der Universität Trier. Er hat zahlreiche Artikel und zwei Bücher veröffentlicht sowie drei wissenschaftliche Auszeichnungen erhalten.