Auf den Punkt
Warnende Frühindikatoren, steigende Zinsen, ein wieder festere US-Dollar sowie die Ölpreiserholung dürften Druck auf die optimistischen Konsens-Gewinnschätzungen ausüben.
Der sich verstärkende Liquiditätsentzug dürfte in den kommenden Monaten die Bewertungen deckeln.
Nach dem Seitwärtsmarkt in Q3 sehen wir eine erhöhte Rücksetzer-Gefahr. Jedoch dürfte das Abwärtspotenzial begrenzt sein, da viele Anleger ohnehin schon vorsichtig sind.
Aktienrallye hat sich in Q3 nicht fortgesetzt
Im dritten Quartal hat sich gezeigt, dass das Aufwärtspotenzial bei Aktien momentan begrenzt ist. Das liegt vor allem daran, dass schon viel Positives eingepreist ist und sich viele Anleger nach der starken H1-Aktienmarktperformance in den Markt haben zwingen lassen, so dass es immer weniger inkrementelle Käufer gab. Die negativen Konjunkturüberraschungen in China und Europa haben zu einer Underperformance der lokalen Aktienmärkte geführt. US-Aktien hielten sich dank der KI-Begeisterung und bis dato robuster US-Konjunktur marginal besser – in Euro gerechnet profitierten sie zudem von der USD-Aufwertung in Q3.
Unrealistische Gewinnerwartungen für 2024
Während der Q2-Berichtssaison haben viele US-Einzelhändler einen negativen Ausblick gegeben. Die Konsumlaune der US-Verbraucher beginnt sich einzutrüben. Die Wiederaufnahme der Zahlungen für Studentendarlehen im Oktober, die beginnende Abkühlung auf dem Arbeitsmarkt und die Aufzehrung der überschüssigen Ersparnisse aus der Pandemie stellen im weiteren Verlauf dieses Jahres erhebliche Abwärtsrisiken für die Verbraucher dar und dürften den privaten Verbrauch belasten. Bei den Gewinnschätzungen der Analysten scheint dies allerdings noch nicht angekommen zu sein. Der Konsens erwartet für 2024 ein Gewinnwachstum von knapp 10 % für die Industrienationen, getrieben vor allem durch eine Ausweitung der Gewinnmargen in den USA. Für die Schwellenländer geht der Konsens nach einer Gewinnrezession dieses Jahr von einer noch deutlicheren Erholung 2024 aus. Immer noch erhöhte Lohninflation und steigende Refinanzierungskosten der Unternehmen zusammen mit einer wohl rückläufigen Preissetzungsmacht aufgrund von Disinflation und bis dato das Ausbleiben einer starken China-Erholung dürften aber das Gewinnwachstum limitieren – vor allem für einen Großteil der zyklischen Unternehmen sowie für Nebenwerte. Es dürfte schwer für die Unternehmen werden, die optimistischen Prognosen 2024 nach oben zu übertreffen.
US-Aktien nahezu für Perfektion gepreist
Trotz höherer Realzinsen und Liquiditätsentzugs kam es in diesem Jahr zu einer Bewertungsausweitung bei US-Aktien. Das Forward-KGV für den S&P 500 ist seit Jahresanfang von 17 auf über 20 gestiegen, bei höheren 10J-Treasury-Renditen. Damit sind US-Aktien nun wieder im Vergleich zur eigenen Historie teuer bepreist. Andere Segmente wie beispielsweise europäische Aktien und Nebenwerte sind relativ günstig im Vergleich zur eigenen Historie bewertet. Es gibt verschiedene Gründe für die gestiegene Bewertungsdiskrepanz zwischen den USA und dem Rest der Welt. Beispielsweise dürften sich vor allem US-Unternehmen als KI-Profiteure erweisen. Viele bewertungsinsensitive Strategien wie Systematiker, ETF-Sparpläne, Optionsinvestoren sowie Aktienrückkaufprogramme tummeln sich zudem vor allem in US-Aktien, unter anderem deswegen, weil die USA den größten und liquidesten Markt der Welt haben. Die Dreifachbelastung aus jüngster US-Dollar-Aufwertung, höheren Zinsen und Ölpreisen dürfte jedoch auch vermehrt Spuren in den USA hinterlassen. Zumal der andauernde Liquiditätsentzug für die Bewertungen auch nicht förderlich ist.
Erhöhte Rücksetzergefahr in den nächsten Monaten
Die nach wie vor geringe Marktbreite signalisiert keine hohe Überzeugung der Anleger und mahnt neben der restriktiven Zentralbankpolitik und negativen Frühindikatoren für die Wirtschaft weiter zur Vorsicht. Innerhalb der Aktienregionen könnten China und Europa am positivsten überraschen. Bei beiden Regionen ist schon viel Negatives eingepreist. Sollte China sich aber beispielsweise wider Erwarten doch stärker erholen, würde dies viele Investoren auf dem falschen Fuß erwischen. Die deutliche Outperformance von US-Aktien gegenüber europäischen Aktien seit Q2 2023 könnte zumindest pausieren. Jüngst haben die Wirtschaftsdaten in Europa negativer als in den USA überrascht, dies könnte sich umkehren – nicht zuletzt, weil Europa weniger Gegenwind durch die Währung und die gestiegenen Zinsen hat. Insgesamt erachten wir sowohl das Aufwärts- (fundamental) als auch das Abwärtspotenzial (viele diskretionäre Anleger erwarten einen Rücksetzer) für Aktien als begrenzt. Ein moderater Rücksetzer, gefolgt von einer volatilen Seitwärtsbewegung, scheint uns am wahrscheinlichsten.
Was die Unternehmen bewegt
Getrübte Stimmung
Bei unseren Gesprächen mit Unternehmen zeigen sich die Unternehmenslenker aktuell eher vorsichtiger und rechnen für H2 mit einer Abschwächung. Während sich diese Schwäche im Baubereich schon in den letzten Quartalen bei vielen Unternehmen andeutete, war sie im abgelaufenen Quartal mehr in der Breite zu sehen. So zeichnet sich auch in der Autoindustrie eine Abschwächung ab. Autozulieferer berichten von geringeren Abrufen und der chinesische Markt erholt sich schwächer als erwartet, was zu weiterem Preisdruck insbesondere bei E-Autos führt. Auch in der Paymentsindustrie war zuletzt ein erhöhter Preisdruck Thema und lässt sich letztlich auf eine erhöhte Kostensensibilität bei den Kunden zurückführen. Die pharmazeutische Industrie hingegen verzeichnet positive Entwicklungen bei Arzneimitteln gegen Fettleibigkeit. Die SELECT-Studie von Novo Nordisk zeigt Erfolge bei der Gewichtsreduktion und der Herzkrankheitsprävention. Auch sonst zeigen sich die Pharmakonzerne mit einer innovativen Produktpipeline ausgesprochen optimistisch. Im Bereich erneuerbarer Energien berichten Projektentwickler von Schwierigkeiten, die sich auf die gestiegenen Refinanzierungs- und Herstellungskosten zurückführen lassen. Übergreifend lässt sich festhalten, dass das gestiegene Zinsniveau zwar überall Spuren hinterlässt, sich die gut aufgestellten Unternehmen aber deutlich besser schlagen
- Matthias Born, CIO Aktien
Autor
Ulrich Urbahn
Ulrich Urbahn arbeitet seit Oktober 2017 für Berenberg und ist zuständig für quantitative Analysen sowie die Entwicklung strategischer und taktischer Allokationsideen und ist in die Kapitalmarktkommunikation eingebunden. Er ist Mitglied des Asset Allocation Committee und Portfoliomanager von flexiblen Multi Asset Strategien. Nach seinen Diplomen in VWL und Mathematik an der Universität Heidelberg war er mehr als zehn Jahre bei der Commerzbank unter anderem als Senior-Cross-Asset-Stratege tätig. Ulrich Urbahn ist CFA-Charterholder und gehörte bei der renommierten Extel-Umfrage jahrelang den drei weltweit besten Multi-Asset-Research-Teams an.