Horizonte Q3│2024 - Volkswirtschaft

Wachstum und Zinsen normalisieren sich

Prof. Dr. Bernd Meyer und Team geben in der aktuellen Horizonte-Publikation einen Ausblick auf das dritte Quartal 2024.

Auf den Punkt

  • USA: Konjunktur kühlt sich etwas ab.


  • Europa: Zeichen stehen auf Aufschwung.

  • Deutschland: Erholung verzögert sich.

  • Geldpolitik: EZB beginnt mit der Zinswende, Fed wartet ab.

USA: Konjunktur kühlt sich langsam etwas ab

Zwar scheint sich die US-Konjunktur nach einer sehr starken Phase etwas abzukühlen, von einem Einbruch kann jedoch keine Rede sein. Das BIP-Wachstum verlangsamte sich in den ersten drei Monaten des Jahres deutlich auf 0,3 % gegenüber dem Vorquartal, wozu allerdings die starken Schwankungen der sehr volatilen Komponenten Nettoausfuhren und Lagerbestände maßgeblich beitrugen. Die Inlandsnachfrage schwächte sich zwar etwas ab, der Zuwachs von 0,5 % gegenüber dem Vorquartal zeigt aber, dass die Grunddynamik der US-Wirtschaft zum Jahresbeginn weiterhin recht robust war.

Dass die Konjunktur trotz der restriktiven Geldpolitik der Fed nur langsam an Schwung verliert, liegt vor allem an der expansiven Fiskalpolitik. Zum einen gibt der Staat weiterhin viel Geld direkt aus, zum anderen fördert er grüne (und einige andere) Investitionen durch steuerliche Anreize. Im Wahljahr 2024 dürfte die Fiskalpolitik expansiv bleiben, die Impulse für die Konjunktur werden aber wahrscheinlich etwas geringer ausfallen als im vergangenen Jahr.

Da das Wachstum sich bisher nur langsam abkühlt und die Inflationsrate zuletzt knapp oberhalb von 3 % seitwärts tendierte, hat die Fed derzeit keinen Grund, die Zinsen zu senken. Wir erwarten deshalb, dass die Fed erst im Dezember – und damit nach den Wahlen – die Zinswende einleiten wird. Bis zum Herbst 2025 rechnen wir mit insgesamt vier Zinsschritten um jeweils 25 Basispunkte, so dass die Leitzinsspanne dann bei 4,25 % bis 4,50 % notieren wird.

Die Fed wird also einige Monate länger auf der Zinsbremse verweilen, um die Nachfrage und damit den Preisdruck weiter zu dämpfen. Auch wenn die Wirkung der Geldpolitik langsamer als erwartet zu greifen scheint, gehen die hohen Zinsen dennoch nicht wirkungslos an der Realwirtschaft vorbei. Die Daten für das zweite Quartal deuten darauf hin, dass die US-Wirtschaft nach einer Pha-se der Überhitzung in eine Periode der Normalisierung eingetreten ist. Für das Gesamtjahr 2024 rechnen wir mit einem soliden BIP-Wachstum von immer noch 2,4 %, gefolgt von 1,8 % im Jahr 2025.

Stimmung in der Eurozone hellt sich auf

Einkaufsmanagerindizes Euro-Raum, Indexpunkte, Wachstumsschwelle=50 Punkte

Zeitraum: 01.2022–05.2024
Quelle: IHS Markit

Die Stimmung in der Eurozone hellt sich allmählich auf

Die Wirtschaft der Eurozone kommt nach der Beinahe-Stagnation im Jahr 2023 langsam wieder in Schwung. Das BIP-Wachstum im ersten Quartal überraschte mit 0,3 % im Vorquartalsvergleich positiv, auch wenn der milde Winter dazu beigetragen hatte. Die jüngsten Einkaufsmanagerumfragen wecken die Hoffnung, dass sich der Aufschwung im Sommer festigen könnte. Dazu trägt auch bei, dass die Lagerkorrektur im Euroraum (außer Deutschland), während der das Verarbeitende Gewerbe weniger produzierte als es verkaufte, weitgehend abgeschlossen zu sein scheint.

Auf der Nachfrageseite nimmt die Kaufkraft der Verbraucher dank steigender Löhne bei gleichzeitig rückläufiger Inflation wieder zu. Noch halten sich die europäischen Verbraucher bei ihren Konsumausgaben etwas zurück. Wir gehen aber davon aus, dass sich dies im Sommer ändern und eine anziehende Binnennachfrage gepaart mit einer Erholung der Weltwirtschaft der europäischen Konjunktur Rückenwind verleihen wird. Eine leicht expansive Fiskalpolitik in Südeuropa wirkt zusätzlich stützend, so dass wir nach einem noch etwas schwächeren zweiten Quartal ab dem Sommer einen Zuwachs des BIP von jeweils rund 0,4 % gegenüber dem Vorquartal erwarten. Für 2024 ergibt sich daraus ein Wirtschaftswachstum von 0,8 % für das Gesamtjahr, gefolgt von 1,6 % im kommenden Jahr.

Die Neuwahlen in Frankreich stellen ein Risiko dar. Da Präsident Macron noch weiter als bisher von einer Regierungsmehrheit ent-fernt sein dürfte, sind weitere Reformfortschritte unwahrscheinlich. Frankreich muss auch seine zu hohen Budgetdefizite reduzieren. Gemessen an den früheren Verlautbarungen der politischen Konkurrenten wäre eine stabile Haushaltsführung schwierig. Allerdings bestehen gute Chancen, dass sich auch die Parteien abseits der Mitte mäßigen, wenn sie tatsächlich Regierungsverantwortung übernehmen müssen.

Lagerkorrektur in Deutschland noch nicht vorbei

Lagerbestand an Fertigwaren: Saldo der Antworten in Prozentpunkten von Industrieunternehmen auf die Frage, ob Lagerbestände zu groß (+) oder klein (-)

Zeitraum: 01.2010–05.2024
Gestrichelt: Durchschnitt. Quelle: Umfrage der Europäischen Kommission, Eurostat, Berechnungen von Berenberg

Aufschwung in Deutschland lässt noch auf sich warten

Die deutsche Wirtschaft konnte im ersten Quartal um 0,2 % im Vergleich zum Vorquartal zulegen. Stützend wirkte sich das milde Winterwetter und der damit verbundene Anstieg der Bauinvestiti-onen aus. Ohne diesen Sondereffekt hätte das Wachstum nahe der Nulllinie gelegen. Der Aufschwung lässt insbesondere im Verarbeitenden Gewerbe weiter auf sich warten. Dies liegt auch daran, dass die Lagerkorrektur in Deutschland noch nicht so weit vorangeschritten ist wie im Rest der Eurozone. Unter anderem weil die deutsche Industrie auf stark zyklische Güter ausgerichtet ist und das globale Verarbeitende Gewerbe nur schleppend an Schwung gewinnt. Aber auch hier rechnen wir im Jahresverlauf mit einer weiteren Erholung. Hinzu kommt auch in Deutschland die steigende Kaufkraft der Verbraucher. Die Reallöhne lagen in Q1 um 3,8 % höher als im Vorquartal, der höchste Anstieg seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 2008. Zwar erwarten wir daher eine Belebung der deutschen Wirtschaft ab dem Sommer, der negative statistische Überhang aus dem Vorjahr und das immer noch schwache erste Halbjahr führen aber zu einer BIP-Wachstumsprognose von lediglich 0,2 % für das Gesamtjahr. Für 2025 rechnen wir dann aber mit einem recht soliden Wachstum in Höhe von 1,4 %.

EZB: Zinswende hat begonnen

Die EZB hat am 6. Juni die Leitzinsen wie erwartet um 25 Bp ge-senkt. Konkrete Hinweise zum weiteren Vorgehen gab Lagarde in der anschließenden Pressekonferenz nicht. Die moderaten Auf-wärtskorrekturen des BIP-Wachstums für 2024 sowie der Gesamt- und Kerninflation für 2024 und 2025 und die Äußerungen von Präsidentin Lagarde deuten jedoch darauf hin, dass es die EZB mit den Leitzinssenkungen nicht eilig hat. Unserer Meinung nach wird die EZB dieses Jahr nur noch einmal – im September – den Einla-gesatz um 25 Bp senken. Zum Jahresende dürfte die Inflation noch einmal anziehen. Zwar sind hierfür Basiseffekte verantwortlich, dennoch rechnen wir damit, dass die EZB dann eine Pause bei den Zinsschritten einlegen wird. Für die erste Hälfte des kommenden Jahres erwarten wir zwei Senkungen um je 25 Bp, bevor die EZB den Einlagesatz bei 3 % konstant hält.

Wachstums- und Inflationsprognosen

* Berenberg-Daten zu tatsächlichen Wechselkursen, nicht nach Kaufkraftparitäten (KKP). KKP messen den schnell wachsenden Schwellenländern mehr Gewicht bei.
** Durchschnitt, Bloomberg-Konsens per 18.06.2024

Autor

Dr. Felix Schmidt
Leitender Volkswirt
Salomon Fiedler
Dr. Salomon Fiedler
Volkswirt