Auf den Punkt
Eine globale Konjunkturerholung ist wahrscheinlicher geworden. Europa und Asien gewinnen an Schwung, und die USA bleiben robust. Die Gewinnerwartungen steigen.
Neben den strukturellen Gründen für eine mittelfristig höhere Inflation nehmen mit dem besseren Wachstum auch die Risiken einer hartnäckigeren oder höheren Inflation zu. Weder Aktien noch Anleihen haben dies eingepreist.
Sentiment und Positionierung machen die Märkte anfällig für Korrekturen. Aktien und Staatsanleihen dürften bis zu den US-Wahlen volatil seitwärts tendieren. Wir bevorzugen risikoreichere Anleihesegmente, Rohstoffe, Rohstoffunternehmen und europäische Aktien, insbesondere Nebenwerte.
Portfoliopositionierung auf einen Blick
Nach der starken Entwicklung im ersten Quartal sind wir bei Ak-tien vorsichtiger in das zweite Quartal gestartet. Den Rücksetzer im April nutzten wir, um die Aktienquote leicht zu erhöhen. Die verbesserten Konjunktur- und Gewinnaussichten sind positiv für risikobehaftete Anlagen. Mit einer Aktiengewichtung nahe neutral, bei einer offensiveren Titelselektion (Nebenwerte, Rohstoffaktien), einer Übergewichtung in Rohstoffen sowie einer Fokussierung bei Anleihen auf Credit/High-Yield und Schwellenländer anstelle sicherer Staatsanleihen sind wir entsprechend positioniert. Eine noch offensivere Positionierung ist angesichts der jüngsten negativen US-Konjunkturüberraschungen, der optimistischen Anlegerstimmung und -positionierung, der ambitionierten Bewertung insbesondere von US-Aktien und der weiterhin erhöhten Unsicherheit (Inflation, Wahlen, Geopolitik) nicht angebracht. Sichere Staatsanleihen bieten zwar attraktive Realrenditen, die bei einer Wachstumsschwäche helfen sollten. Wie die Aktienmärkte sind Anleihen jedoch anfällig für eine beständigere Inflation, da die Breakeven-Inflationsraten erstaunlich niedrig sind. Wir bevorzugen daher weiterhin kurze bis mittlere Laufzeiten und vermeiden eine im Vergleich zur Benchmark lange Duration. Rohstoffe, insbesondere Gold und Industriemetalle, bleiben ein Schwerpunkt.
Zweites Quartal: Europa und Asien rücken in den Fokus
Im zweiten Quartal hellte sich das Konjunkturbild in Europa und Asien auf, während die US-Konjunktur zwar robust blieb, aber schwächer ausfiel, als nach dem starken ersten Quartal erwartet wurde. Dies spiegelten zunächst auch die Märkte wider. Der US-Dollar verlor etwas an Wert. US-Aktien konnten kaum zulegen. Europäische Aktien und Aktien aus Schwellenländern entwickelten sich besser. Nach der Ankündigung von Neuwahlen in Frankreich im Juni drehte sich das Bild jedoch, sodass der US-Dollar und US-Aktien letztlich wieder die Nase vorn hatten. Die konjunkturelle Aufhellung in Europa und Asien stützte Industriemetalle, die im zweiten Quartal um mehr als 10 % zulegten. Neben Industriemetallen entwickelte sich Gold im zweiten Quartal am besten und liegt damit auch in der Rangliste seit Jahresbeginn vor Aktien. Steigende Renditen und sinkende Kreditrisikoprämien im Zuge der konjunkturellen Erholung führten zu einer Outperformance risikoreicherer Anleihesegmente und kürzerer Laufzeiten.
Bild einer weltwirtschaftlichen Erholung noch intakt
Die Konsensprognosen für das Weltwirtschaftswachstum 2024 sind im zweiten Quartal weiter gestiegen, zunehmend getrieben von Europa und China. Der globale Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe liegt seit Februar über der kritischen Marke von 50 und im Mai mit 50,9 auf dem höchsten Stand seit Juni 2022. Die Konsensgewinnerwartungen für 2024 und 2025 haben sich stabilisiert und wurden insbesondere in Europa sogar leicht nach oben revidiert. Eine stärkere Abschwächung des US-Wachstums bleibt ein Hauptrisiko für dieses positive Konjunkturbild und die Märkte.
Inflation bleibt das bestimmende Thema an den Märkten
In der Vergangenheit haben wir immer wieder die strukturellen Gründe für eine mittelfristig höhere Inflation diskutiert. Gelingt die sanfte Landung der US-Konjunktur, macht der positivere Ausblick auf die Weltwirtschaft nun aber auch kurzfristig eine hartnäckigere oder gar wieder steigende Inflation zu einem weiteren Hauptrisiko für die Märkte. Die sogenannten Basiseffekte, also der reine Rückgang der Inflation, weil frühere kräftige Preisschübe aus dem Vorjahresvergleich herausfallen, sind weitgehend ausgelaufen. Dagegen sind chinesische Frachtraten, US-Erdgaspreise und andere Rohstoffpreise deutlich gestiegen, auch die Löhne in Europa. Inflationsdämpfende Effekte durch den Einsatz von KI dürften frühestens in einigen Jahren wirksam werden. Die hartnäckigere Inflation in den USA hat bereits dazu geführt, dass die Zinssenkungen der Fed weiter hinausgezögert werden. Statt der noch im März erwarteten drei Senkungen für dieses Jahr, sind derzeit weniger als zwei eingepreist. Die Anleiherenditen sind weiter gestiegen, 10J-US-Realrenditen auf ca. 2,1 % im Schnitt im zweiten Quartal. Solange die Zinsen jedoch nicht weiter steigen, könnten Zeitpunkt und Ausmaß von Zinssenkungen für die Märkte an Bedeutung verlieren, wenn Europa und China an Schwung gewinnen, die US-Wirtschaft robust bleibt und die Gewinnerwartungen weiter zunehmen. Die unverändert hohe Korrelation zwischen Aktien und sicheren Staatsanleihen ist ein weiteres Indiz dafür, dass die Inflation ein zentrales Thema an den Märkten bleibt. Und die starke Entwicklung der Rohstoffe im April zeigte einmal mehr, dass diese häufig genau dann profitieren, wenn Aktien und Anleihen gleichzeitig unter einer überraschend hohen Inflation leiden.
Anleiherenditen dürften auch bei Zinssenkungen kaum fallen
Wenn die Zentralbanken ihre Zinsen in einer sich bereits erholenden Wirtschaft nur spät und zögerlich senken, dürften die Renditen langfristiger Anleihen kaum fallen. Anleihen preisen wenig Inflationsrisiken ein, und mit strukturell höherer Inflation und steigender Staatsverschuldung dürfte die Renditestrukturkurve mittelfristig wieder steiler werden (Normalisierung des „Term Premium“). Insbesondere in den USA dürften die langfristigen Renditen aufgrund des hohen Haushaltsdefizits und des deshalb hohen Angebots an Treasuries nur bei deutlicher Wachstumsschwäche fallen.
Vorteil Europa? Fundamental ja, aber mit hohen politischen Risiken
Die relative Performance Europas im Vergleich zu den USA ist nach wie vor schwer einzuschätzen. Fundamental spricht einiges für Europa: die attraktivere Bewertung, die frühere Zinssenkung, das anziehende Wirtschaftswachstum, die geringe Positionierung internationaler Anleger und die positiven Mittelzuflüsse im Mai und Anfang Juni. Dies zeigte sich auch darin, dass sich europäische Aktien im zweiten Quartal zunächst besser entwickelten als US-Aktien und die Marktbreite in Europa etwas zugenommen hat. Die französischen Neuwahlen und die US-Wahlen bleiben aber große Risiken, die gegen eine starke Übergewichtung Europas sprechen. Die Handlungsfähigkeit Europas steht auf dem Spiel, und Trump könnte schon im Wahlkampf mit Handelskriegsdrohungen Stimmung machen oder die Unterstützung der Ukraine in Frage stellen.
Rückläufige Volatilität, dominierender Optimismus, relativ hohe Positionierungen und vielfältige Risiken für Aktien
Trotz leichter Bewertungseinengung in den letzten Monaten bleibt das Potenzial an den Aktienmärkten begrenzt – nur Aufwärtsrevisionen der Gewinnerwartungen würden helfen. Die Aktienmärkte preisen weiterhin sehr günstige Konjunktur- und Gewinnaussichten ein, aber kaum das Risiko einer hartnäckigeren Inflation oder eines stagnierenden Wachstums. Wir bleiben bei unserer Einschätzung, dass eine weitere starke Bewertungsexpansion insbesondere bei US-Aktien selbst bei Zinssenkungen unwahrscheinlich ist. Zudem hat der Rücksetzer an den Märkten im April nicht zu einer Bereinigung der Positionierung systematischer Anleger geführt. Insbesondere CTAs und Zielvolatilitätsansätze sind hoch positioniert. Die Anlegerstimmung ist optimistisch. Dies macht die Aktienmärkte anfälliger für Rückschläge, und die Unsicherheit (Inflation, US-Konjunktur, Wahlen, Geopolitik) bleibt deutlich erhöht. Dies spricht trotz besserer Konjunktur- und Gewinnaussichten gegen eine sehr offensive Positionierung. Bis zu den US-Wahlen erwarten wir eine volatile Seitwärtsbewegung.
Autor
Prof. Dr. Bernd Meyer
Prof. Dr. Bernd Meyer ist seit Oktober 2017 Chefanlagestratege bei Berenberg und dort im Wealth and Asset Management für die diskretionären Multi-Asset-Strategien sowie die Vermögensverwaltungsmandate zuständig. Prof. Dr. Bernd Meyer war zunächst Leiter der Europäischen Aktienstrategie bei der Deutschen Bank in Frankfurt und London und baute ab 2010 als Bereichsleiter das globale Cross Asset Strategy Research bei der Commerzbank auf. Prof. Dr. Meyer wurde mehrfach ausgezeichnet. So rangierte er mit seinem Team beim renommierten Extel Survey in den Jahren 2013 bis 2017 jeweils unter den besten drei Multi Asset Research Teams weltweit. Prof. Dr. Meyer ist DVFA Investment Analyst, CFA-Charterholder und Gastdozent für „Empirische Kapitalmarktforschung“ an der Universität Trier. Er hat zahlreiche Artikel und zwei Bücher veröffentlicht sowie drei wissenschaftliche Auszeichnungen erhalten.