Auf den Punkt
Aktienmärkte dürften bis zu den US-Wahlen volatil seitwärts tendieren. Folglich dürfte ein antizyklisches Handeln Sinn machen.
Bewertungstechnisch hat Europa Platz nach oben, vor allem wenn sich der Konjunkturaufschwung fortsetzt.
Unser Fokus liegt auf Megatrend-Gewinnern, europäischen Nebenwerten sowie Rohstoff-Aktien. Taktisch mögen wir zudem defensive Aktien als Beimischung.
Dreigeteilte Performance im zweiten Quartal
Im April belasteten der Liquiditätsentzug durch die US-Steuersaison sowie steigende Zinsen die Märkte. Im Mai überwogen dann die Goldlöckchen-Hoffnungen sowie eine positive Berichtssaison. Im Juni litten Eurozonen-Aktien unter der Ankündigung von Neuwahlen in Frankreich. Am positivsten entwickelten sich asiatische Schwellenländer, US Large Caps und britische Aktien in Q2. Dabei halfen robuste Konjunkturdaten und positive Gewinnrevisionen. Die größten Verlierer waren lateinamerikanische Aktien, die unter politischen Störfeuern und Währungsabwertungen litten.
Positive Gewinnrevisionen
Die Q1-Berichtssaison verlief sehr erfreulich. Nicht nur die Gewinnerwartungen der Analysten wurden im Aggregat übertroffen, viele Unternehmen gaben auch einen positiven Ausblick auf das weitere Geschäftsjahr. In der Folge kam es zu breiten, positiven Gewinnrevisionen. Der Konsens erwartet nun für dieses Jahr ein Gewinnwachstum von 12 % für US-Aktien und von 6 % für euro-päische Aktien. Angesichts der bereits rekordhohen Gewinnmargen und der jüngsten negativen US-Konjunkturüberraschungen dürften die Abwärtsrisiken insbesondere bei den Schätzungen für US-Aktien überwiegen. Dies gilt umso mehr, als die Preissetzungsmacht vieler Unternehmen mit dem Rückgang der Inflation nachlassen dürfte. Künstliche Intelligenz dürfte unseres Erachtens eher mittel- als kurzfristig zu Produktivitätssteigerungen führen, z.B. über Automatisierungsvorteile und Effizienzsteigerungen.
Bewertungsausweitung vor allem in Europa möglich
Nach der starken Bewertungsexpansion seit November stiegen die Bewertungen auf Indexebene im zweiten Quartal nicht weiter an. Die Aktienindizes stiegen im Einklang mit den höheren Gewinnschätzungen. US-Aktien bleiben mit einem Forward-KGV von 21 im Vergleich zur eigenen Historie teuer. Für Europa wird dagegen mehr Negatives eingepreist. Der Euro Stoxx 50 notiert mit einem KGV von 13 sogar unter seinem historischen Durchschnitt. Neben den unterschiedlichen (geo-)politischen Risiken gibt es unseres Erachtens drei Gründe für diese Bewertungsdifferenz. Erstens ist die Branchenstruktur in den USA wachstumslastiger im Vergleich zu Europa mit seinem hohen Anteil an Unternehmen aus alten, reifen Industrien. Zweitens finden sich in den USA die weltweit innovativsten Unternehmen (z.B. die sog. Mag 7), für die viele Investoren auch bereit sind, eine Prämie zu zahlen. Drittens gibt es in den USA die größte Unterstützung durch nicht-fundamentale Anleger bzw. Flows (Stichwort Meme-Aktien, ETF-Sparpläne, systematische Strategien). Folglich dürfte es unserer Meinung nach nur zu einer moderaten Bewertungskonvergenz kommen.
Antizyklisches Handeln über den Sommer bevorzugt
Wir sehen weiterhin Chancen, vor allem unter der Oberfläche. Neben den Megatrend-Gewinnern aus dem Technologiesektor bevorzugen wir europäische Small Caps, die nicht nur günstig bewertet sind, sondern auch von einer zunehmenden M&A-Aktivität und einem besseren Flow-Momentum profitieren dürften. Da wir im Sommer mit einer höheren Volatilität rechnen und die EZB die Zinsen zum ersten Mal gesenkt hat, halten wir auch defensivere Sektoren wie Basiskonsumgüter für taktisch attraktiv. Schließlich mögen wir weiterhin die Rohstoffsektoren, die durch die Energiewende und die jahrelange Unterinvestition strukturell unterstützt bleiben, zumal die Anlegerpositionierung in diesen Sektoren nicht hoch ist. Für die US-Aktienmärkte auf Indexebene sehen wir bis zu den US-Wahlen im November kaum Aufwärtspotenzial, was für ein antizyklisches Agieren über die Sommermonate spricht. Sollten die Märkte weiter steigen, können wir uns gut vorstellen, Aktiengewinne mitzunehmen. Sollten die Märkte hingegen konsolidieren, sehen wir dies eher als Chance für Aufstockungen. Dass die Märkte weiter stark steigen, halten wir für unwahrscheinlich. Die hohe Positionierung und die bereits positive Anlegerstimmung dürften das Aufwärtspotenzial begrenzen. Hinzu kommt, dass viele Anleger nach der starken Performance im bisherigen Jahresverlauf angesichts der politischen Risiken im Vorfeld der US-Wahlen einen Gang zurückschalten dürften, zumal die Liquidität über den Sommer abnehmen wird. Wir warten daher geduldig auf gute Gelegenheiten. Zuletzt haben wir beispielsweise europäische zulasten von US-Aktien gekauft, nachdem diese aufgrund der Neuwahlen in Frankreich massiv underperformt hatten.
Was die Unternehmen bewegt
Ein gemischtes Bild
In unseren Gesprächen mit Unternehmen im Rahmen von Konferenzen und persönlichen Treffen vernehmen wir aktuell gemischte Töne. Neben der anhaltenden Schwäche chinesischer Konsumenten scheinen nun auch vermehrt Sorgen um den US-Konsumenten aufzukommen. Aus der Lebensmittelindustrie berichten die Unternehmen dagegen von einer deutlichen Abschwächung der Inflationswerte. Gleichzeitig nehmen Lohnkosten aber weiter zu und belasten die Margen. In der Asset-Management-Industrie sehen Management-Teams eine Stabilisierung. Neben einer positiven Margenentwicklung verbesserte sich zuletzt auch die Situation bei den Mittelabflüssen. Durch die von KI weiter nach oben getriebene Nachfrage nach Datenzentren werden Kraftwerksbetreiber und Stromnetze auf eine Belastungsprobe gestellt. Betreiber wie Microsoft wollen den Strombedarf im besten Fall aus erneuerbaren Energien bedienen, um selbstgesteckte Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Dies verlieh dem Sektor zuletzt Auftrieb. Im Bereich Software war die Berichtssaison zuletzt durchwachsen. Unternehmen allokieren ihre Ausgaben vermehrt in Richtung KI-Anwendungen und reduzieren ihr Budget bei traditioneller Anwendungssoftware. Wir erwarten daher eine starke Divergenz bei der Performance der betroffenen Unternehmen.
Matthias Born, CIO Aktien
Autor
Ulrich Urbahn
Ulrich Urbahn arbeitet seit Oktober 2017 für Berenberg und ist zuständig für quantitative Analysen sowie die Entwicklung strategischer und taktischer Allokationsideen und ist in die Kapitalmarktkommunikation eingebunden. Er ist Mitglied des Asset Allocation Committee und Portfoliomanager von flexiblen Multi Asset Strategien. Nach seinen Diplomen in VWL und Mathematik an der Universität Heidelberg war er mehr als zehn Jahre bei der Commerzbank unter anderem als Senior-Cross-Asset-Stratege tätig. Ulrich Urbahn ist CFA-Charterholder und gehörte bei der renommierten Extel-Umfrage jahrelang den drei weltweit besten Multi-Asset-Research-Teams an.