Liebe Leserinnen und Leser,
nach der sehr guten Entwicklung im ersten Quartal zeigten Aktien im zweiten Quartal etwas weniger Dynamik, obwohl sich die Konjunkturaussichten in Europa und China verbessert haben und die Erwartungen für die Gewinne in den Jahren 2024 und 2025 gestiegen sind. Neben der Unsicherheit durch die Neuwahlen in Frankreich liegt dies daran, dass sich nicht nur die Konjunktur verbessert, sondern auch die Inflation bisher hartnäckiger blieb. Die Zinssenkungserwartungen wurden reduziert. Die Anleiherenditen sind gestiegen. Risikoreichere Anleihesegmente profitierten aber von sinkenden Kreditrisikoprämien. Regional entwickelten sich Aktien aus asiatischen Schwellenländern, Großbritannien und den USA am besten. In Europa profitierten Nebenwerte von der verbesserten Konjunktur und einer ersten Zinssenkung der EZB. In den USA blieb die Marktbreite hingegen gering. Die eigentlichen Gewinner waren Industriemetalle, Silber und Gold.
Was ist für das zweite Halbjahr 2024 zu erwarten? Die verbesserten Konjunktur- und Gewinnwachstumsaussichten sind positiv für risikoreichere Anlagen, insbesondere für Aktien. Allerdings preisen diese insgesamt bereits sehr gute Aussichten und kaum Risiken ein. Die Chancen liegen also eher unter der Oberfläche – fundamental z.B. in Europa, wäre da nicht das Risiko der Wahlen in Frankreich und den USA – sowie bei Nebenwerten oder Rohstoffaktien. Wie die Aktienmärkte preisen auch die sicheren Staatsanleihen das Risiko einer hartnäckigeren Inflation kaum ein. Für beide Märkte bleibt daher eine unerwartet hohe Inflation ein Hauptrisiko. Eine stärkere Konjunkturdynamik ist daher nicht uneingeschränkt positiv, da sie die Inflation wieder anheizen könnte, zumal viele disinflationäre Basiseffekte weitgehend ausgelaufen sein dürften. An den Märkten sind derzeit immer wieder negative Reaktionen auf solide Konjunkturdaten zu beobachten – „good news is bad news“ und umgekehrt. Die Inflationsentwicklung dürfte eines der bestimmenden Themen des Sommers bleiben, mit wichtigen Implikationen für die Asset Allokation und die Korrelation zwischen Aktien und sicheren Staatsanleihen. Das zweite Hauptrisiko ist eine deutliche Wachstumsverlangsamung, welche negativ für Aktien, Rohstoffe und Hochzinsanleihen wäre. Weitere wichtige Themen des Sommers dürften die französischen Neuwahlen und der Wahlkampf im Vorfeld der US-Wahlen sein. Zum einen steht die Handlungsfähigkeit Europas auf dem Spiel. Zum anderen könnte Trump mit Handelskriegsdrohungen Stimmung gegen Europa (und China) machen. Beides könnte den US-Dollar und US-Aktien trotz deren Überbewertung weiter stützen.
Wir verfolgen eine moderat konstruktive Portfoliopositionierung mit Schwerpunkten in Rohstoffen, Unternehmensanleihen und Nebenwerten bei einer neutralen Aktienquote. Eine offensivere Positionierung erscheint uns angesichts der optimistischen Anlegerstimmung und -positionierung, der ambitionierten Bewertung insbesondere von US-Aktien und der weiterhin hohen Risiken (Inflation, US-Konjunktur, Wahlen, Geopolitik) nicht angebracht.
Im Insights-Interview gibt Dennis Nacken einen Einblick, wie Single Family Offices, die das Vermögen von Unternehmerfamilien und sehr vermögenden Privatpersonen verwalten, arbeiten und investieren, und was andere vermögende Anleger davon lernen können.
Viel Spaß bei der Lektüre!
Herausgeber
Prof. Dr. Bernd Meyer
Prof. Dr. Bernd Meyer ist seit Oktober 2017 Chefanlagestratege bei Berenberg und dort im Wealth and Asset Management für die diskretionären Multi-Asset-Strategien sowie die Vermögensverwaltungsmandate zuständig. Prof. Dr. Bernd Meyer war zunächst Leiter der Europäischen Aktienstrategie bei der Deutschen Bank in Frankfurt und London und baute ab 2010 als Bereichsleiter das globale Cross Asset Strategy Research bei der Commerzbank auf. Prof. Dr. Meyer wurde mehrfach ausgezeichnet. So rangierte er mit seinem Team beim renommierten Extel Survey in den Jahren 2013 bis 2017 jeweils unter den besten drei Multi Asset Research Teams weltweit. Prof. Dr. Meyer ist DVFA Investment Analyst, CFA-Charterholder und Gastdozent für „Empirische Kapitalmarktforschung“ an der Universität Trier. Er hat zahlreiche Artikel und zwei Bücher veröffentlicht sowie drei wissenschaftliche Auszeichnungen erhalten.