Horizonte Q3│2023 - Volkswirtschaft

Gegenwind aus Übersee

Prof. Dr. Bernd Meyer und Team geben in der aktuellen Horizonte-Publikation einen Ausblick auf das dritte Quartal 2023.

Auf den Punkt

  • Die Weltkonjunktur verliert zeitweilig an Schwung.

  • USA: milde Rezession voraus, Aufschwung 2024.

  • Europa: Putin-Schock ist vorbei, aber Ausfuhr schwächer.

  • Der Inflationsdruck geht weiter zurück.

  • Notenbanken treten weiter auf die Bremse – aber das Ende des Zinszyklus ist in Sicht.

Ein guter Start ins Jahr 2023

Die Weltwirtschaft ist besser ins Jahr 2023 gestartet als erwartet. In den USA griffen die Verbraucher auf die Zusatzersparnisse zurück, die sie während der Pandemie gebildet hatten. Damit haben sie den Schock der hohen Inflation abgefedert, der die Kaufkraft ihrer Einkommen schmälert. Europa hat den Winter (fast) ohne russisches Gas so gut überstanden, dass die Gaspreise am Markt erheblich nachgegeben haben. Dazu haben echte Einsparungen wesentlich mehr beigetragen als das milde Wetter. Da die Gasspeicher in der EU bereits am 12. Juni wieder zu 72,6 % gefüllt waren, nach einem saisonalen Tiefpunkt von 55 % Ende März, zeichnet sich auch für die Heizperiode im nächsten Winter kein ernstes Risiko eines Gasmangels ab. Nachdem China die Herdenimmunität auf die harte Art erreicht hat, haben die chinesischen Verbraucher seit Jahresbeginn wieder deutlich mehr Geld ausgegeben und somit der Konjunktur zeitweilig einen spürbaren Schub verliehen. Bei mehr Wachstum als erwartet haben auch die Zentralbanken in den USA und Europa ihre Zinspolitik weiter spürbar gestrafft, um der immer noch hohen Inflation Herr zu werden.

Dienstleistungen robust, Industrie schwach

Einkaufsmanagerindizes Europa und USA

Europa: gewichtetes Mittel aus Eurozone (80 %) und GB (20%) 50+/- bedeutet Expansion/Kontraktion. Januar 2022–Mai 2023.
Quellen: HIS Markit, Berenberg-Berechnungen

Abschwung in den USA

Die USA leiden weiter unter einer hausgemachten Inflation. Mit ihrer späten, aber umso energischeren Zinswende wird die Fed die Nachfrage voraussichtlich so dämpfen, dass die US-Konjunktur in der zweiten Jahreshälfte 2023 in eine milde Rezession fallen könnte – bei etwas rückläufigem Konsum und weniger Investitionen der Unternehmen. Gerade im verarbeitenden Gewerbe weisen die Frühindikatoren auf einen spürbaren Abschwung hin. Für das Wahljahr 2024 zeichnet sich dann ein erneuter Aufschwung ab, gestützt auf einen Anstieg der real verfügbaren Einkommen bei nachlassender Inflation sowie auf ein Plus im Wohnungsbau nach dem Ende der derzeitigen zinsbedingten Korrektur. Eine weniger straffe Zinspolitik dürfte die konjunkturellen Aufwärtskräfte stärken. Wir rechnen damit, dass die US-Wirtschaft im Frühjahr 2024 wieder eine annualisierte Wachstumsrate von 2 % erreichen kann

Durchwachsener Ausblick für Europa

Zwei sehr unterschiedliche Kräfte prägen den Ausblick für die europäische Konjunktur für die kommenden Monate. Einerseits hat der Kontinent den Putin-Schock gut überstanden. Bei rückläufiger Inflation, einem stabilen Arbeitsmarkt und höheren Lohnzuwächsen können die Einkommen der Verbraucher ab dem Sommer wieder stärker steigen als die Preise. Da die Verbraucher dann real – also nach Abzug der Inflation – wieder mehr Geld in der Tasche haben, kann der private Konsum nach einem Rückgang im Winterhalbjahr wieder anspringen. Andererseits bläst dem verarbeitenden Gewerbe derzeit der Wind ins Gesicht. Dies hat drei Gründe. Erstens bauen viele Unternehmen rund um die Welt ihre Lagerbestände ab, die sie im vergangenen Jahr angesichts großer Sorgen um die Stabilität von Lieferketten aufgebaut hatten. Zweitens zeigt sich die nachlassende Konjunktur in den USA vor allem im Bereich der Güter, während die Nachfrage nach Dienstleistungen robuster bleibt. Auch in Europa zeigen die Einkaufsmanagerindizes eine starke Kluft zwischen Dienstleistungen und dem verarbeitenden Gewerbe an. Das liegt unter anderem daran, dass die Verbraucher in den Jahren der Pandemie mehr auf Dienstleistungen als auf Güter verzichten mussten und entsprechend bei Reisen, Restaurantbesuchen und anderen Dienstleistungen einen größeren Nachholbedarf haben. Drittens bleibt der erhoffte zeitweilige Rückenwind aus China aus. Dort ist nach dem Ende der Pandemie zwar die Nachfrage der privaten Verbraucher angesprungen, aber nicht die Investitionstätigkeit. Gerade für Kerneuropa, dass traditionell viele Maschinen exportiert, schlägt dies negativ zu Buche.

Europa: Rückenwind aus dem Inland – Gegenwind aus Übersee

Bei Rückenwind vom privaten Verbrauch aber Gegenwind aus dem Ausland wird die Wirtschaftsleistung der Eurozone in den kommenden Quartalen wohl nur leicht zulegen können. Im Frühjahr 2024 könnte dann mit der Rückkehr der US-Wirtschaft zu kräftigem Wachstum auch die Konjunktur in Europa wieder an die Dynamik der Zeit vor dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine anknüpfen. Nach einem verhaltenen Zuwachs der Wirtschaftsleistung um 0,3 % im Jahr 2023 erwarten wir ein Wachstum von 1,2 % für 2024 und 1,8 % für 2025. Für Großbritannien rechnen wir mit einem ähnlichen Verlauf wie für die Eurozone.

Der große Inflationsbuckel

Anstieg der Verbraucherpreise gegenüber dem Vorjahreszeitraum in %

Q1 2015–Q4 2025. Gestrichelt: Berenberg-Prognose. USA: CPI-U, Eurozone: HVPI, GB: VPI.
Quellen: BLS, Eurostat, ONS, Berenberg

Die Inflation geht weiter zurück

Auf beiden Seiten des Atlantiks hat der Preisdruck seinen Höhepunkt überschritten. Da in den USA der Arbeitsmarkt ganz allmählich an Schwung verliert, nimmt dort der Lohndruck langsam ab. Dagegen werden die Löhne in der Eurozone im Jahr 2023 wohl um mindestens 5 % steigen, bevor der Lohndruck dann bei abnehmender Inflation im Laufe des Jahr 2024 wieder auf etwa 4 % zurückgehen dürfte. In den USA und Europa werden die Inflationsraten im zweiten Halbjahr 2023 weiter sinken. In Europa fällt der Anstieg der Energie- und Nahrungsmittelpreise des Jahres 2022 schrittweise aus dem Vorjahresvergleich heraus. Da die Lieferkettenprobleme sich entspannt haben und auch die Transportkosten gesunken sind, wird bei schwächelnder Nachfrage nach Gütern der Preisdruck in diesem Bereich erheblich nachlassen. Allerdings werden die höheren Lohnzuwächse die Preise für lohnintensive Dienstleistungen weiter in die Höhe treiben, so dass die Inflationsraten in Europa sich ab Mitte 2024 wohl bei etwa 2,5 % einpendeln werden statt bei den etwa 1,5 % in den Jahren vor der Pandemie.

Zentralbanken – Zinsgipfel in Sicht

Damit die Inflation sich nicht verfestigt, treten die Fed und die EZB auf die Zinsbremse. In den USA dürfte die Zentralbank den Leitzins noch einmal um 25 Basispunkte erhöhen, vermutlich im Juli. Sobald die konjunkturelle Schwächephase den Inflationsdruck hinreichend gedämpft hat, wird die Fed dann die Zinsen wieder etwas senken, voraussichtlich beginnend Ende 2023. Die EZB wird ihren Einlagensatz im Juli höchstwahrscheinlich um 25 Bp auf dann 3,75 % anheben, gefolgt von einer langen Pause.

Wachstums- und Inflationsprognosen

* Berenberg-Daten zu tatsächlichen Wechselkursen, nicht nach Kaufkraftparitäten (KKP). KKP messen den schnell wachsenden Schwellenländern mehr Gewicht bei.
** Durchschnitt, Bloomberg-Konsens per 15.06.2023

Autor

Dr. Holger Schmieding
Chefvolkswirt
Telefon +44 20 3207-7889