Auf den Punkt
Der Anlegerfokus hat von der Inflation zum Wachstum gewechselt, aber die Unsicherheit darüber bleibt ungewöhnlich hoch. Aktien und Staatsanleihen entwickelten sich wieder negativ korreliert, was Multi-Asset-Anlegern zugutekam.
Käufe systematischer Strategien und eine positive Liquiditätsversorgung unterstützten Aktien zuletzt – trotz Skepsis diskretionärer Anleger. Mit den höheren Aktienpositionen systematischer Anleger und dem drohenden Liquiditätsentzug erwarten wir bestenfalls ein Hin- und Her der Märkte.
Anleiherenditen dürften nicht mehr stark steigen, das macht Zinsduration interessanter. Rohstoffe preisen deutlichen Konjunkturabschwung ein. Wir sind vorsichtiger bei Aktien.
Portfoliopositionierung auf einen Blick
Nach dem fulminanten Jahresstart reduzierten wir die Aktienquote im ersten Quartal ab Februar in mehreren Schritten auf ein leichtes Untergewicht. Im zweiten Quartal nutzten wir Stärkephasen für weitere Reduktionen auf ein nunmehr moderates Untergewicht.
Im Gegenzug haben wir die Anleiheseite weiter ausgebaut. Angesichts der Konjunkturrisiken und dem absehbareren Ende der Zinserhöhungen haben wir die Zinsduration auf nahe neutral angehoben. Auch die Risikoaufschläge von Unternehmensanleihen guter Qualität erachten wir als attraktiv, bleiben hier aber bei kürzeren Laufzeiten, denn auch Risikoprämien oberhalb des historischen Medians könnten sich bei Konjunkturschwäche weiter ausweiten. Insgesamt haben wir das Kreditrisiko zu Gunsten des Zinsrisikos reduziert, beispielsweise durch den Ausstieg aus USD-Hochzinsanleihen. Schwellenländeranleihen, besonders in Lokalwährung, bleiben attraktiv angesichts höherer Realzinsen und der Chance auf frühere Zinssenkungen.
Rohstoffe preisen bereits am stärksten einen Wirtschaftsabschwung ein. In Verbindung mit der strukturellen Nachfrage durch die Energiewende bleiben wir bei zyklischen Rohstoffen im Übergewicht. Auch Gold als Diversifikator bleibt übergewichtet.
Rückblick zweites Quartal: Etwas verminderte Dynamik
An den Märkten setzte sich oberflächlich betrachtet das Bild aus dem ersten Quartal mit verringerter Geschwindigkeit fort. Aktien und Anleihen legten weiter zu, während Industriemetalle und Energierohstoffe weiter abgaben und Gold stagnierte. Unter der Oberfläche kam es aber zu etlichen Trendwenden. Anders als im ersten Quartal entwickelten sich defensive Titel im zweiten Quartal lange besser als Zykliker, US-Aktien schlugen Aktien aus Europa, und der US-Dollar legte zu. EUR/USD notiert nun nahezu unverändert seit Jahresbeginn. Zusammen mit der relativen Schwäche von Small Caps vs. Large Caps und von Aktien aus den Schwellenländern vs. Aktien aus den Industrienationen signalisiert dies eine skeptischere Einschätzung der globalen Konjunkturentwicklung durch die Märkte als noch im ersten Quartal. Angesichts der Probleme einzelner Banken, gestiegener Zentralbankzinsen und sehr gemischter Konjunkturdaten verwundert dies nicht.
Weiter hohe Unsicherheit über die Konjunkturentwicklung
Der für das Frühjahr erwartete Wirtschaftsaufschwung ist in der Eurozone bisher ausgefallen – Konjunkturdaten haben ab April zunehmend enttäuscht.
Neben dem weniger schlecht als befürchteten Winter in der Eurozone ist der nur schwache Aufschwung Chinas nach Ende der Corona-Beschränkungen ein Grund dafür. Auch die US-Wirtschaft zeigt Zeichen der Schwäche, besonders im verarbeitenden Gewerbe. Der Arbeitsmarkt und die Dienstleistungen erweisen sich aber weiter robuster als erwartet – positive und negative Konjunkturüberraschungen halten sich die Waage. Hier bleibt die Frage, gelingt ein „Soft Landing“, d.h. kann eine Rezession vermieden werden? Weniger fiskalische Stimulierung und Liquiditätsentzug nach der Einigung zum Aussetzen der US-Schuldenbremse, verschärfte Kreditkonditionen und eine nachlassende Kreditnachfrage stützen unsere Erwartung einer weiteren Wirtschaftsabkühlung und einer möglichen Rezession bis zum Frühjahr 2024.
Man darf nicht vergessen, Effekte der Geldpolitik zeigen sich in der Wirtschaft üblicherweise erst 12-18 Monate später – aktuell noch zusätzlich verzögert, z.B. da viele Verbraucher zunächst noch Corona-Ersparnisse hatten und die Fiskalpolitik expansiv blieb. Wir bleiben bei unserer Einschätzung. Je länger sich die Wirtschaft als robust erweist und die Inflation und die Zentralbankzinsen hoch bleiben, desto härter könnte letztlich die Landung werden.
Liquiditätsentzug dürfte in den kommenden Monaten belasten
Neben den Konjunkturrisiken dürfte in den kommenden Monaten eine stark fallende Nettoliquidität zum Gegenwind für die Märkte werden. Die Fed und die EZB entziehen bereits mittels der quantitativen Drosselung kontinuierlich Liquidität. Seit Jahresbeginn ist in den USA die Liquidität trotzdem angestiegen und hat die Märkte unterstützt.
Zum einen hat die Fed mit einem Notfallprogramm im Zuge der Pleite der Silicon Valley Bank erneut Liquidität zur Verfügung gestellt. Zum anderen hat das Erreichen der Schuldenobergrenze in den USA im Januar die Emission von neuen Staatspapieren verhindert, so dass die US-Regierung ihre „Ersparnisse“ aufgezerrt hat, bis die Kassenbestände Ende Mai ausgeschöpft waren. Mit dem Aussetzen der Schuldenobergrenze bis Anfang 2025 ist nun die Emission großer Volumina von US Staatspapieren zu erwarten, die Kassenbestände sollen zügig wieder aufgefüllt werden. Analysten von Morgan Stanley schätzen, dass die USD-Nettoliquidität in den kommenden sechs Monaten um 8-14 % fällt – ein Niveau, das zuletzt eine Belastung für die Aktienmärkte war. In der Eurozone kommt es neben der monatlichen quantitativen Drosselung, auch aufgrund des Auslaufens von TLTRO-Krediten der EZB an die Banken, zu einem deutlichen Liquiditätsentzug. Im Stressfall dürften die Zentralbanken zwar wieder in die Bresche springen. Dies dürfte aber wohl erst nach einem stärkeren Abverkauf geschehen.
Positionsaufbau systematischer Anleger macht Aktien anfälliger
Während diskretionäre Anleger so wie wir eher skeptisch gestimmt sind, was Stimmungsumfragen bestätigen, haben regelbasierte Anlagestrategien in den letzten Monaten ihre Aktienpositionen von niedrigen Niveaus aus deutlich ausgebaut. Momentum-Indikatoren drehten zunehmend ins Positive, da die Aktienentwicklung nun auch über sechs und zwölf Monate in den westlichen Märkten positiv ist. Implizite und realisierte Volatilitäten sanken. Der VIX Index als Maß der impliziten Schwankungsbreite von US-Aktien fiel von durchschnittlich 25,1 % in Q4 2022 auf 17,1 % seit Anfang April. Im Juni schloss der VIX Index erstmals seit Februar 2020 unter 15 %. Die für die Mehrzahl systematischer Anlagestrategien noch bedeutendere realisierte Volatilität sank noch stärker. Das erlaubt ihnen Risikopositionen aufzubauen. Dass die Volatilitäten bei Aktien stärker fielen als bei Anleihen, begünstigte den relativen Aufbau von Aktienpositionen in Strategien mit Risikoparität.
Ein weiterer Treiber ist die Rückkehr der negativen Korrelation von Aktien und Staatsanleihen. Die Korrelation von US-Staatsanleihen und US-Aktien über die letzten 60 Handelstage ist von über +0,4 im Januar und Anfang Februar auf unter -0,5 Anfang Juni gefallen. Mit der zunehmenden Diversifikationswirkung sinkt das Gesamtrisiko von Multi-Asset-Portfolios deutlich. Regelbasierte Strategien bauten daraufhin Risikopositionen weiter aus. Mit dem Aufbau der Aktienpositionen durch systematische Strategien sind die Aktienmärkte aber wieder anfälliger für Rückschläge geworden. Im Fall eines deutlichen Volatilitätsanstieges und/oder eines erneuten Gleichlaufs von Aktien und Anleihen, dürften regelbasierte Strategien gezwungen sein, Aktienpositionen in einen Abverkauf hinein stark zu reduzieren. Käme es dadurch zu einer stärkeren Korrektur, würden wir wohl die Chance ergreifen und Aktienpositionen wieder ausbauen.
Autor
Prof. Dr. Bernd Meyer
Prof. Dr. Bernd Meyer ist seit Oktober 2017 Chefanlagestratege bei Berenberg und dort im Wealth and Asset Management für die diskretionären Multi-Asset-Strategien sowie die Vermögensverwaltungsmandate zuständig. Herr Meyer war zunächst Leiter der Europäischen Aktienstrategie bei der Deutschen Bank in Frankfurt und London und baute ab 2010 als Bereichsleiter das globale Cross Asset Strategy Research bei der Commerzbank auf. Prof. Dr. Meyer wurde mehrfach ausgezeichnet. So rangierte er mit seinem Team beim renommierten Extel Survey in den Jahren 2013 bis 2017 jeweils unter den besten drei Multi Asset Research Teams weltweit. Prof. Dr. Meyer ist DVFA Investment Analyst, CFA-Charterholder und Gastdozent für „Empirische Kapitalmarktforschung“ an der Universität Trier. Er hat zahlreiche Artikel und zwei Bücher veröffentlicht sowie drei wissenschaftliche Auszeichnungen erhalten.