Auf den Punkt
Gewinnwachstumserwartungen nahe Null sind für 2023 wohl realistisch. 2024 dürfte besser werden, aber die Konsenserwartung zweistelligen Wachstums erscheint uns hoch.
Der drohende Liquiditätsentzug dürfte in den kommenden Monaten die Bewertungen deckeln.
Wir sehen für Q3 eine erhöhte Rücksetzergefahr. Allerdings dürfte das Abwärtspotenzial positionierungsbedingt begrenzt sein. EM-Aktien könnten positiv überraschen.
Heterogene Aktienmarktperformance in Q2
Während europäische Aktien im zweiten Quartal – nach der massiven Outperformance in Q1 und Q4 des Vorjahres – auf der Stelle traten, entwickelten sich japanische und US-Aktien freundlicher. Japanische Aktien legten mehr als 9 % zu, getrieben durch starke Zuflüsse internationaler Anleger. US-Aktien und die von uns bevorzugten Wachstumstitel profitierten derweil von der KI-Euphorie. Die USD-Aufwertung half den Euro-Anlegern zusätzlich.
Optimistische Gewinnerwartungen für 2024
Geholfen hat auch die Stabilisierung der Gewinnerwartungen. Die Q1-Berichtssaison überraschte positiv. Das kam an den Märkten gut an, insbesondere weil die Erwartungshaltung im Vorfeld sehr niedrig war. Für das zweite und teilweise dritte Quartal erwartet der Konsens jedoch nach wie vor eine Gewinnrezession, bevor es in Q4 wieder zu einem positiven Gewinnwachstum kommt. Das Gewinnwachstum dürfte trotz anhaltender Rezessionssorgen 2023 und 2024 in den Industrienationen insgesamt positiv ausfallen. Dabei erwarten die Analysten 2024 ein Gewinnwachstum von knapp 10 %. Für die Schwellenländer geht der Konsens nach einer Gewinnrezession dieses Jahr von einer noch deutlicheren Erholung 2024 aus. Steigende Löhne und Refinanzierungskosten der Unternehmen, zusammen mit einer wohl rückläufigen Preissetzungsmacht aufgrund von Disinflation und das bis dato Ausbleiben einer starken China-Erholung dürften aber das Gewinnwachstum limitieren – vor allem für einen Großteil der zyklischen Unternehmen. Wir sind zwar auch positiver für 2024 als für 2023 gestimmt, es dürfte jedoch nicht einfach für die Unternehmen werden, die optimistischen Prognosen für 2024 nach oben zu übertreffen.
Bewertungsbezogen nur wenig Luft nach oben
Trotz zunehmender quantitativer Drosselung der Zentralbanken kam es jüngst zu einer Bewertungsausweitung. Das Forward-KGV für den S&P 500 ist seit Jahresanfang von 17 auf 20 gestiegen, bei volatilen, aber nahezu gleichbleibenden 10J-Treasury-Zinsen. Damit sind US-Aktien nun wieder im Vergleich zur eigenen Historie und gegenüber Anleihen hoch bepreist. Europäische Aktien sind trotz der YTD-Rallye immer noch günstig im Vergleich zur eigenen Historie. Bewertungstechnisch dürfte für dieses Jahr kaum noch Luft nach oben sein, zumal einige bewertungsinsensitive Strategien wie CTAs nun bereits wieder deutlicher in Aktien investiert sind. Zudem dürfte der kräftige Liquiditätsentzug über den Sommer für die Bewertungen auch nicht förderlich sein.
Erhöhte Rücksetzergefahr über den Sommer
Die Märkte wurden zuletzt nur von wenigen Titeln getragen, insbesondere in den USA. US Small Caps sowie der gleichgewichtete S&P 500 haben seit Jahresanfang nur wenig zugelegt. Die geringe Marktbreite signalisiert keine hohe Überzeugung der Anleger und mahnt neben der restriktiven Zentralbankpolitik und negativen Frühindikatoren für die Wirtschaft weiterhin zur Vorsicht. Innerhalb der Aktienregionen könnten Schwellenländer am positivsten überraschen. Die Anlegerstimmung sowie Gewinnerwartungen sind hier tendenziell negativ. Sollte China sich aber beispielsweise wider Erwarten doch stärker, wenn auch später erholen, würde dies viele Investoren auf dem falschen Fuß erwischen. Beispielsweise könnte der chinesische Staat sich genötigt fühlen, im 2. Halbjahr stärker zu stimulieren. Gleiches gilt bei einem Abebben der geopolitischen Spannungen zwischen China und den USA. Die starke Outperformance von europäischen gegenüber US-Aktien seit Oktober könnte zumindest pausieren. Zum einen sind viele Anleger in Europa schon stärker positioniert, auch weil sie Europa als Proxy-Trade für China verwendet haben. Zum anderen dürfte die Fed schon weiter im Straffungszyklus als die EZB sein und folglich wieder schneller mit einer lockeren Geldpolitik beginnen. Jüngst haben darüber hinaus die Wirtschaftsdaten in Europa negativer als in den USA überrascht. US-Aktien profitieren zudem auch deutlich stärker als europäische Aktien vom KI-Boom. Für Europa spricht jedoch nach wie vor die relative Bewertung. Insgesamt erachten wir sowohl das Aufwärts- (fundamental) als auch das Abwärtspotenzial (Positionierung) für Aktien als begrenzt. Nach einem Rücksetzer über die nächsten Monate könnte es entsprechend wieder zu einer Erholung zum Jahresende kommen, wenn der Markt Richtung 2024 schaut.
Was die Unternehmen bewegt
Rezessionssorgen treiben auch die Unternehmenslenker um
Es sind nicht nur wir Investoren, die nach Anzeichen einer stärkeren wirtschaftlichen Abschwächung Ausschau halten. Bei verschiedenen Konferenzen und einer Vielzahl direkter Zusammentreffen mit den für uns relevanten Unternehmen kamen natürlich auch wir im zweiten Quartal nicht um den sprichwörtlichen Elefanten im Zimmer herum. Im Industriebereich machen weiterhin hohe Lagerbestände und damit einhergehend niedrige neue Auftragseingänge der Mehrheit an Unternehmen zu schaffen. Im Konsumgüterbereich war es zwar zum Jahresstart erneut möglich, Preisanhebungen durchzusetzen, aber auch hier zeichnet sich eine zunehmend schwache Nachfrage ab. Ein besonders hoher Einbruch ist aber bis jetzt nur in wenigen Fällen zu erkennen. Ungebrochen stark ist die Nachfrage hingegen im Luxusgüterbereich. Trotz mehrfacher Preiserhöhungen sind die Kunden weiterhin ausgesprochen zahlungsbereit. In der für uns wichtigen Medizintechnik profitierten die Unternehmen von der anhaltenden Normalisierung im Gesundheitssystem nach Jahren der Covid-19-Disruption. Der gesamte Sektor konnte gute Q1-Zahlen vorstellen. In von den Kapitalmärkten abhängigen Subsektoren bleibt das Umfeld hingegen besonders schwierig. Die Nachfrage nach Private-Equity-Produkten hat sich zum Beispiel deutlich abgeschwächt und auch die Deal-Aktivität ist deutlich eingebrochen.
- Matthias Born, CIO Aktien
Autor
Ulrich Urbahn
Ulrich Urbahn arbeitet seit Oktober 2017 für Berenberg und ist zuständig für quantitative Analysen sowie die Entwicklung strategischer und taktischer Allokationsideen und ist in die Kapitalmarktkommunikation eingebunden. Er ist Mitglied des Asset Allocation Committee und Portfoliomanager von flexiblen Multi Asset Strategien. Nach seinen Diplomen in VWL und Mathematik an der Universität Heidelberg war er mehr als zehn Jahre bei der Commerzbank unter anderem als Senior-Cross-Asset-Stratege tätig. Ulrich Urbahn ist CFA-Charterholder und gehörte bei der renommierten Extel-Umfrage jahrelang den drei weltweit besten Multi-Asset-Research-Teams an.