Auf den Punkt
USA: mehr Wachstum als erwartet.
Europa: Stagnation im Winter, Aufschwung im Frühjahr.
Inflationsdruck geht zurück – aber nicht dauerhaft auf 2 %.
Geldpolitik: Fed und EZB senken Zinsen ab Juni.
USA: Fiskalpolitik stützt Konjunktur trotz hoher Zinsen
Trotz der energischen Zinsanhebung durch die Fed hält sich die US-Konjunktur weiterhin besser als erwartet. Selbst der zinssensible Wohnungsbau, der zunächst um 20 % eingebrochen war, löst sich langsam von der Talsohle. Dank einem weiterhin robusten Arbeitsmarkt ist die Ausgabenneigung der privaten Verbraucher ungebrochen. Auch die Unternehmen haben bisher trotz höherer Finanzierungskosten ihre Investitionen nicht zurückgefahren. Dank hoher Reserven sind sie weniger auf Kredite angewiesen als früher. Außerdem hatten sie in den Vorjahren – anders als in früheren Zyklen – keine Überkapazitäten aufgebaut. Deshalb müssen sie solche jetzt nicht durch geringere Investitionen ausgleichen.
Der wichtigste Grund für das anhaltend hohe US-Wachstum liegt in der Fiskalpolitik. Erstens wirken die Steueranreize für grüne (und einige andere) Investitionen der restriktiven Geldpolitik entgegen. Zweitens erhöht der Staat seine eigenen Ausgaben massiv, im Schlussquartal 2023 real um 4,5 % gegenüber dem Vorjahr. Als Folge hoher Bundeszuschüsse konnten die Bundestaaten und Gemeinden ihre Investitionen sogar um 16,3 % steigern.
Natürlich verbleiben erhebliche Risiken. Denn die Geldpolitik wirkt zeitlich verzögert. Sie kann die Konjunktur also noch in diesem Jahr bremsen, obwohl die USA (und Europa) den Zinsgipfel bereits im Herbst 2023 erreicht hatten. Allerdings dürfte die Fiskalpolitik im Wahljahr 2024 expansiv bleiben. Wir erhöhen unsere Prognose für das US-Wachstum in diesem Jahr von 2,2 % auf 2,4 % nach 2,5 % im Vorjahr. Wir rechnen weiterhin damit, dass sich das Wachstum nach einem guten Start ins Jahr 2024 im Frühjahr und Sommer etwas abschwächt, bevor es nach einem ersten Lockern der Geldpolitik Ende 2024 wieder an Schwung gewinnen wird.
Durchwachsener Ausblick für Europa
Zwei sehr unterschiedliche Kräfte prägen den Ausblick für die europäische Konjunktur für die kommenden Monate. Einerseits hat der Kontinent auch den zweiten Winter nach dem Putin-Schock gut überstanden. Kurz vor dem Ende der üblichen Heizperiode sind die Erdgasspeicher mit 60 % immer noch außergewöhnlich gut gefüllt. Im Großhandel ist der Marktpreis für Erdgas deshalb nur noch etwa halb so hoch wie vor einem Jahr. Zudem steigen die Einkommen der Verbraucher bei rückläufiger Inflation, einem weitgehend stabilen Arbeitsmarkt und höheren Lohnzuwächsen bereits seit dem Frühjahr 2023 wieder stärker als die Preise. Die Verbraucher haben damit real – also nach Abzug der Inflation – wieder mehr Geld in der Tasche.
Andererseits steckt das verarbeitende Gewerbe weiterhin in einer Rezession. Der schwache Welthandel trifft insbesondere Länder wie Deutschland, die sich auf die Ausfuhr von Waren spezialisiert haben. Dieser Effekt wird durch eine ausgeprägte Lagerkorrektur verstärkt. Viele Unternehmen hatten 2022 das Ende der Corona-Lieferkettenengpässe genutzt, um Lagerbestände an Vor- und Fertigprodukten aufzubauen. Bei schwächelnder Nachfrage bauen sie seit dem Frühjahr 2023 ihre Lagerbestände wieder ab. Vorläufig produzieren sie also weniger, als sie verkaufen.
Mittlerweile mehren sich jedoch die Anzeichen, dass diese Lagerkorrektur in Kürze ausgestanden sein könnte. Der Anstieg der Einkaufsmanagerindizes deutet darauf hin, dass das verarbeitende Gewerbe ab dem Frühjahr wieder etwas zulegen kann.
Europa: neuer Schwung im Frühjahr
Nach einer Stagnation im Winter zeichnet sich für die Eurozone ein neuer Aufschwung im Frühjahr ab. Sobald die Konjunktur nach dem Ende der Lagerkorrektur etwas Tritt gefasst hat, werden viele Unternehmen wieder mehr investieren, um Lieferketten neu zu strukturieren und knappe Arbeitskräfte zu ersetzen. Obwohl China strukturell schwach bleiben wird, kann sich die Ausfuhr dorthin vermutlich leicht erholen. Schließlich dürfte China 2024 mit etwa 3 bis 4 % wachsen, auch wenn sich das offizielle Wachstumsziel von 5 % wohl nur mit statistischen Tricks erreichen lässt. Bei besserer Nachrichtenlage aus dem Verarbeitenden Gewerbe dürfte in der Eurozone im Frühjahr auch die Kauflust der Verbraucher wieder etwas zunehmen. Getrieben von einer anziehenden Binnennachfrage kann die Konjunktur in der Eurozone im Herbst wieder ein Wachstumstempo etwas oberhalb der Trendrate von 1,3 % erreichen. Dank der Reformen früherer Jahre und einer expansiveren Fiskalpolitik wird Südeuropa dabei weiterhin besser abschneiden als Deutschland. Für Großbritannien rechnen wir mit einem ähnlichen Verlauf wie für die Eurozone.
Der große Inflationsschub ist ausgestanden
Auf beiden Seiten des Atlantiks hat der Preisdruck erheblich nachgelassen. Tendenziell werden die Kernraten der Inflation (ohne die schwankungsanfälligen Preise für Energie und Nahrungsmittel) in den kommenden Monaten voraussichtlich etwas weiter zurückgehen. Angesichts der weiterhin robusten Binnennachfrage rechnen wir jedoch nicht damit, dass die US-Inflation auf 2 % sinken wird. Es mehren sich stattdessen die Anzeichen, dass sie sich bei etwa 2,5 % oder leicht darüber einpendeln wird.
Da viele Energiepreise derzeit sinken und der große Preisschub bei Nahrungsmitteln ausgestanden ist, kann die Inflation in der Eurozone dagegen im Herbst auf etwa 2 % fallen. Aber im Zuge des Aufschwungs werden Unternehmen im Jahr 2025 wieder mehr Preissetzungsmacht haben. Auf Dauer werden anhaltend hohe Lohnzuwächse die Preise für arbeitsintensive Dienstleistungen weiter in die Höhe treiben. Da zudem die Kosten des Klimaschutzes zu Buche schlagen, rechnen wir damit, dass die Inflation in Europa im Laufe des Jahres 2025 wieder auf 2,5 % anziehen wird.
Zentralbanken: erste Zinssenkungen im Juni
Die US-Fed möchte einen spürbaren Anstieg der Arbeitslosigkeit vermeiden. Für viele US-Notenbanker ist eine Inflationsrate von etwa 2,5 % akzeptabel. Deshalb wird die Fed ihren Leitzins wohl ab Juni 2024 wieder senken, vermutlich von jetzt 5,5 % auf 4,75 % bis Ende 2024 und 4 % bis Mitte 2025. Auch für die Eurozone (und Großbritannien) erwarten wir angesichts rückläufiger Inflationsraten erste Zinsschritte nach unten ab Juni 2024.