Auf den Punkt
Lockerere finanzielle Bedingungen haben die US-Konjunktur wieder angefacht. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Weltwirtschaft ab dem zweiten Quartal erholt, ist gestiegen.
Erste Zinssenkungen bei einer sich bereits erholenden Konjunktur wären nicht vergleichbar mit den ersten Zinssenkungen der letzten Zyklen. Längerfristige Anleiherenditen dürften kaum fallen, Aktienbewertungen maximal leicht steigen.
Sentiment und Positionierung machen Märkte aktuell anfälliger für Korrekturen. Wir sehen nur noch moderates Potenzial bei Aktien und erwarten eine zunehmende Marktbreite.
Vergleichbare Renditeerwartungen für alle Anlageklassen und hohe Unsicherheit sprechen für balancierte Portfolios.
Portfoliopositionierung auf einen Blick
Der Blick in den Rückspiegel zeigt, dass wir mit einer zu defensiven Aufstellung in das Jahr gestartet sind. Zwar hatten wir Anfang November unser Aktiengewicht mittels US-Aktien erhöht, aber wir haben diese Position nach deutlichen Gewinnen bereits Anfang Januar wieder geschlossen. Die erwartete Wachstumsschwäche, bevor es wieder aufwärts gehen kann, blieb bisher aus. Mit den starken Kursgewinnen setzen die Aktienmärkte nun auf sehr positive Aussichten für Konjunktur und Unternehmensgewinne. Ohne eine Korrektur des optimistischen Sentiments und der hohen Positionierung bleiben wir angesichts vielfältiger Risiken für dieses positive Szenario aber balanciert positioniert. Die stärksten Überzeugungen unter der Oberfläche haben wir bei Edel- und Industriemetallen, breit gestreuten US-Aktien (neue Positionierung seit Mitte März), europäischen Nebenwerten, Pfandbriefen, Nachranganleihen von Banken, Katastrophenanleihen, Schwellenländeranleihen in Lokalwährung sowie einer Position, die von einer steileren US-Renditestruktur profitieren würde. Unser Fokus auf Qualitäts- und Wachstumsaktien dürfte von fallenden Zinsen ebenfalls profitieren. Mit niedriger Anlegerpositionierung und starker Nachfrage aus China bleibt Gold bei rückläufigen Zentralbankzinsen trotz Allzeithoch attraktiv.
Erstes Quartal: Lockere Finanzkonditionen stützen die Konjunktur
Die starke Lockerung der Finanzbedingungen durch die Kapitalmärkte im November / Dezember 2023 (z.B. niedrigere Zinsen und Risikoaufschläge) haben besonders der US-Wirtschaft neuen Schwung verliehen. Auch die Kreditvergabestandards der US-Banken sind stark gelockert worden, und trotz quantitativer Drosselung war in den USA durch die Reduktion der Reverse Repo-Fazilität die Nettoliquidität unterstützend. Seit Jahresbeginn haben die Konjunkturüberraschungen aber auch im Euroraum, in China und in Japan ins Positive gedreht. Im Gegenzug erweist sich die US-Inflation als hartnäckiger. Die zu Jahresende von den Märkten eingepreisten Zinssenkungen wurden deshalb mehr als halbiert. Anleiherenditen zogen wieder an, 10-jährige Bund- und US-Treasury-Renditen um mehr als 40Bp – 10-jährige US-Realrenditen kletterten auf 2 %. Viele Anleihesegmente sind damit seit Jahresbeginn negativ. Der US-Dollar legte leicht zu. Bei Aktien und Öl dominierte jedoch der Konjunkturoptimismus – die Märkte setzen auf langfristig positive Gewinn- und Konjunkturentwicklungen, zu denen dann auch die höheren Realrenditen passen würden.
Konjunkturaufhellung birgt Risiko höherer Zinsen für länger
Die Konsensprognosen für das Weltwirtschaftswachstum im Jahr 2024 steigen seit Jahresbeginn, angeführt von den USA . Der globale Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe lag im Februar erstmals seit August 2022 über der kritischen Marke von 50. Eine weltwirtschaftliche Erholung zeichnet sich ab. Vor diesem Hintergrund und mit US-Wachstum oberhalb des Potenzialwachstums bleibt ein Wiederanstieg der Inflation ein Hauptrisiko für die Märkte. Die kurzfristige Inflationsdynamik zog jüngst bereits wieder etwas an. Dies könnte die Konjunktur und die Aktienmärkte, vergleichbar mit der Phase Ende Juli bis Ende Oktober 2023, wieder belasten. Damals hatte die Fed die Zinsen allerdings noch einmal angehoben, was jetzt unwahrscheinlich ist, da der aktuelle Leitzins selbst bei hartnäckigerer Inflation real deutlich höher liegt. Ein erneuter Anstieg der 10-jährigen US-Realrenditen auf 2,5 % dürfte jedoch weitere Zinserhöhungen erforderlich machen – es sei denn, darin würden sich solide Wachstumsaussichten widerspiegeln, was dann kein großes Problem für die Aktienmärkte sein dürfte.
Zinssenkungen trotz Konjunkturerholung = stabile Anleiherenditen
Bei vorerst weiter rückläufiger Inflation – wie im Basisszenario unserer Volkswirte – dürften die Notenbanken trotz der sich abzeichnenden Konjunkturerholung im Juni mit Zinssenkungen beginnen. Die Renditen langlaufender Anleihen dürften aber kaum sinken. Bei strukturell höherer Inflation und steigender Staatsverschuldung dürfte sich die Risikoprämie für das Halten langfristiger Anleihen, das „Term Premium“, etwas normalisieren und die Renditestrukturkurve wieder steiler werden. Längerfristig halten wir den Spielraum für Zinssenkungen ohne eine Rezession für begrenzt. Neben den strukturellen Faktoren wie Demografie, Energiewende, Neuordnung der Lieferketten und Aufrüstung darf auch eine weitere Trump-Präsidentschaft mit potenziell höheren Zöllen, wieder weniger Immigration, weiterem Inflationsdruck durch die Deglobalisierung und einer starken fiskalischen Expansion nicht außer Acht gelassen werden. Auch angesichts des hohen Haushaltsdefizits in den USA bleibt aus unserer Sicht ein hoher Sachwertanteil bzw. ein Inflationsschutz in Portfolios wichtig.
Moderates Aktienpotenzial bei mehr Marktbreite
Die verbesserten Konjunkturaussichten spiegeln sich noch nicht in deutlichen Aufwärtsrevisionen der Gewinnschätzungen wider. Die Kursgewinne sind damit fast ausschließlich Ergebnis steigender Bewertungen; vor allem US-Aktien sind hoch bewertet. Ohne Aufwärtsrevision der Gewinnerwartungen dürfte weiteres Potenzial dort selbst bei Zinssenkungen begrenzt sein. Die Gewinnmargen stehen aber durch Lohnwachstum und Zinsen unter Druck. Starkes Produktivitätswachstum (z.B. durch KI, kürzere Lieferketten, Automatisierung, ausreichende Energie) ist somit essenziell.
Entgegen unserer Erwartung ist die Marktbreite dieses Jahr bisher gering geblieben. Gleichgewichtete Indizes haben sich deutlich schwächer entwickelt als Indizes nach Marktkapitalisierung. Die KI-Euphorie beflügelte erneut wenige große Unternehmen, und unter der Oberfläche zeigt sich die Zinssensitivität. Verfestigt sich jedoch das Bild anstehender erster Zinssenkungen trotz einer sich abzeichnenden Konjunkturerholung, dürfte die Marktbreite zunehmen und (europäische) Nebenwerte und Rohstoffpreise dürften sich erholen. In den USA hat sich die relative Entwicklung des gleichgewichteten Index, den wir mittels eines ETFs im März allokiert hatten, jüngst stabilisiert.
Sentiment und Positionierung erhöhen Anfälligkeit der Märkte
Der Gleichlauf von Aktien und Anleihen hat deutlich abgenommen, die Anleihevolatilität ist gefallen und die Aktienvolatilität ist niedrig. Systematische Anleger haben deshalb Aktienpositionen weiter aufgebaut und sind dort nun hoch positioniert. Die Anlegerstimmung ist bullisch. Zudem sind die Kassenquoten laut Umfragen sowie Analysen von US-Publikumsfonds unterdurchschnittlich. Die Aktienmärkte sind damit wieder anfälliger für eine Korrektur. Ohne einen Auslöser dafür könnten Aktien aber angesichts der typischerweise positiven April-Saisonalität und bei sich für Juni abzeichnenden Zinssenkungen zunächst weiter nach oben tendieren, getrieben von Nachzüglern, die Richtung Sommer outperformen dürften. Gleichgewichtete Indizes und Nebenwerte dürften aufholen. Spätestens im dritten Quartal, im gewöhnlich schwachen Sommer und im Vorfeld der US-Wahlen, dürfte es aber zu Rückschlägen kommen. Angesichts der vielen Risiken spricht dies für eine breite, balancierte Positionierung. Unsere Erwartung steilerer Renditstrukturkurven und kaum veränderter langfristiger Renditen spricht gegen eine erhöhte Durationspositionierung. Erholt sich die Konjunktur, bleiben Unternehmensanleihen hoher Qualität trotz gesunkener Risikoaufschläge attraktiv. Angesichts der Stärke der US-Wirtschaft sowie eines möglichen Trump-Sieges dürfte der US-Dollar vorerst nur wenig zur Schwäche neigen.
Autor
Prof. Dr. Bernd Meyer
Prof. Dr. Bernd Meyer ist seit Oktober 2017 Chefanlagestratege bei Berenberg und dort im Wealth and Asset Management für die diskretionären Multi-Asset-Strategien sowie die Vermögensverwaltungsmandate zuständig. Prof. Dr. Bernd Meyer war zunächst Leiter der Europäischen Aktienstrategie bei der Deutschen Bank in Frankfurt und London und baute ab 2010 als Bereichsleiter das globale Cross Asset Strategy Research bei der Commerzbank auf. Prof. Dr. Meyer wurde mehrfach ausgezeichnet. So rangierte er mit seinem Team beim renommierten Extel Survey in den Jahren 2013 bis 2017 jeweils unter den besten drei Multi Asset Research Teams weltweit. Prof. Dr. Meyer ist DVFA Investment Analyst, CFA-Charterholder und Gastdozent für „Empirische Kapitalmarktforschung“ an der Universität Trier. Er hat zahlreiche Artikel und zwei Bücher veröffentlicht sowie drei wissenschaftliche Auszeichnungen erhalten.