Herr Kraus, Sie sind Leiter Small Cap Equities bei Berenberg. Was macht den Reiz an Nebenwerten aus und warum sollten Anleger in Nebenwerte investieren?
Die Gründe für eine langfristige Outperformance von Nebenwerten sind vielfältig. Traditionell wachsen kleine und mittlere Unternehmen stärker als große Unternehmen. Für Nebenwerte sprechen zudem die höhere Innovationskraft und eine stärkere unternehmerische Dynamik. Auch der geringere Druck durch die Regulatorik, eine stärkere lokale Präsenz in Zeiten von Near-Shoring und eine höhere Übernahmewahrscheinlichkeit durch andere Unternehmen wirken unterstützend. Grundlegend steht im Nebenwertebereich eine Vielzahl von Unternehmen zur Auswahl: Über 90 Prozent der Unternehmen auf europäischer und internationaler Ebene sind Micro bzw. Small Caps. Hinzu kommt, dass kleinere Unternehmen deutlich weniger Beachtung durch externe Analysten finden. Zu Unrecht, denn in diesem Segment verstecken sich viele heimliche Weltmarktführer mit überdurchschnittlichem Wachstum („Hidden Champions“).
Sie verwalten mit Ihrem Team den Berenberg European Small Cap und den Micro Cap Fonds sowie den Berenberg International Micro Cap Fonds. Was zeichnet den Investmentansatz Ihrer Fonds aus, und wie unterscheiden sich die Fonds?
Wir fokussieren uns in allen drei Strategien auf die kleinsten, aber hochspannenden Unternehmen in Zukunftsbereichen aus den Sektoren Technologie, Gesundheit und Industrie und halten diese Unternehmen meist über viele Jahre. Im Berenberg European Small Cap liegt der Fokus auf europäischen Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung zwischen 1 und 4 Mrd. EUR und im Berenberg European Micro Cap auf europäischen Unternehmen zwischen 100 Mio. EUR und 1 Mrd. EUR. Unser Anlagehorizont beträgt hier in der Regel mehr als fünf Jahre.
Unser jüngstes Produkt ist der Berenberg International Micro Cap. Mit diesem neuen Konzept investieren wir in kleine Unternehmen in Nischenmärkten wie Australien, Neuseeland, Israel, Singapur und Südkorea sowie in unentdeckte Unternehmen in effizienten Märkten wie den USA, Kanada und Japan. Die durchschnittliche gewichtete Marktkapitalisierung eines Portfoliounternehmens im Berenberg International Micro Cap Fonds mit 900 Mio. EUR unterscheidet sich etwa deutlich von einem US-amerikanischen Wettbewerber mit 3 Mrd. EUR. Der Fonds bietet Bestandskunden außerdem einen Diversifikationsvorteil. Die historische Korrelation zum European Small Cap ist mit rund 0,74 vergleichsweise niedrig. Alle Teammitglieder sind selbst in unseren drei Fonds investiert, und wir haben strenge Kapazitätsbeschränkungen für unsere Small und Micro Cap-Produkte.
Welche Faktoren spielen für Sie bei der Titelselektion eine wichtige Rolle? Unterscheidet sich dieser Auswahlprozess von dem für Large Caps?
Wir konzentrieren uns auf Unternehmen sehr hoher Qualität mit attraktiven langfristigen Wachstumstreibern. Wir achten hierbei auf drei Aspekte: eine hervorragende Wettbewerbsposition, starke Managementteams und sehr attraktive Finanzkennzahlen (u.a. hohe Gewinnmargen und Kapitalrenditen, starke Bilanzen). Die von uns präferierten Unternehmen profitierten gerade in diesem inflationären Umfeld von ihrer hohen Preissetzungsmacht. Sie konnten sich in einem erschwerten makroökonomischen Umfeld gut schlagen und oft sogar stärker daraus hervorgehen. Den Schwerpunkt unserer Portfolios bieten globale Marktführer in Wachstumsbereichen der Technologie, des Gesundheitswesens und der Industrie. Das sehr große Universum an Titeln gegenüber den Large Caps wird zudem von Analysten wenig abgedeckt. Deshalb ist die Titelselektion grundsätzlich aufwändiger, aber die Chancen sind längerfristig auch höher.
Nebenwerte haben sich in den letzten zwei Jahren sowohl absolut als auch relativ zu Large Caps enttäuschend entwickelt. Können Sie uns die Treiber dieser Entwicklung genauer erläutern?
Eine geradezu toxische Kombination aus Inflationsschock und Wirtschaftsabkühlung sowie extrem restriktiver Zentralbankpolitik und einem der stärksten Abverkäufe am Anleihenmarkt seit 50 Jahren führte zu deutlichen Bewertungsrückgängen bei Wachstums- sowie Qualitätsunternehmen und insbesondere bei Small Caps. Natürlich sind aber gerade Small Caps in den Jahren zuvor signifikant besser gelaufen als Large Caps und handelten auf einer Prämie. Angesichts der bereits stark abnehmenden Inflationsraten, dem Ende des Zinserhöhungszyklus und ersten Anzeichen einer konjunkturellen Erholung sind wir aber zuversichtlich, dass der Gegenwind durch Bewertungsrückgänge hinter uns liegt. Zuverlässiges Wachstum, hohe Profitabilität und Kapitalrenditen sowie starke Bilanzen rücken zunehmend wieder in den Vordergrund.
Welche Sektoren und Regionen sind im Nebenwerte-Bereich aktuell besonders interessant?
Unsere Überzeugung bleibt unverändert: bahnbrechende Innovationen in den Sektoren Technologie (z.B. Software, Halbleiter-Ausrüstung) und Gesundheit (z.B. Medizintechnik, Diagnostik) bieten längerfristig das höchste Potenzial in punkto Gewinnwachstum. Das ist es, was die Aktienkurse treibt.
Welche Risiken sehen Sie im Zusammenhang mit diesem eher optimistischen Ausblick?
Kurzfristig gibt es immer Risiken und Unsicherheiten – z.B. eine nur schwache Konjunkturerholung, weiterhin restriktive Zentralbanken oder eine Verschärfung der Geopolitik. Deshalb sollte man auch möglichst langfristig anlegen. Denn deutlich überdurchschnittliches Gewinnwachstum hat sich längerfristig stets in steigenden Aktienkursen widergespiegelt.
Wie positionieren Sie Ihre Fonds, um von der erwarteten Trendwende zu profitieren? Wie stellen Sie trotzdem Robustheit sicher, um auch bei ungünstigeren Entwicklungen gut aufgestellt zu sein?
Wir haben uns in den zurückliegenden anderthalb Jahren von dem schwierigen Marktumfeld nicht beirren lassen und sind unserem langfristigen Investmentansatz treu geblieben. So finden sich beispielsweise nach wie vor keine klassischen Banken, Versicherungen oder Immobilienunternehmen im Portfolio. Dagegen haben wir bei Übertreibungen nach unten wieder Chancen genutzt, beispielsweise im Halbleiter-Bereich sowie bei Medizintechnik- und Diagnostik-Unternehmen. Wir sind davon überzeugt, dass unsere Unternehmen aufgrund ihrer soliden Bilanzen, hohen Profitabilität, attraktiven Eigenkapitalrenditen und hohen Markteintrittsbarrieren in den jeweiligen Nischenmärkten weiterhin langfristig profitabel wachsen und aus Krisen mehrheitlich gestärkt hervorgehen können. Unsere Portfolios sehen wir daher als gut aufgestellt: Das durchschnittliche Portfoliounternehmen hat eine Eigenkapitalrendite von mehr als 20 %, keine Nettoverschuldung sowie mittelfristige Umsatz- und Gewinn-Wachstumsraten von 10 bis 15 % bzw. 15 bis 20 %. Im Durchschnitt verdoppeln sich die Gewinne pro Aktie unserer Holdings alle 4 bis 5 Jahre.Wie bewerten Sie das Potenzial von Technologietrends, wie z.B. künstliche Intelligenz oder erneuerbare Energien, für Small & Micro Cap-Unternehmen?
Das Thema KI ist inzwischen in aller Munde. Wir sehen klar, dass es sich hierbei um einen Trend mit wahrscheinlich großem Potenzial handelt. Im Gegensatz zur Dotcom-Blase von 1998 bis 2000 haben wir es heute mit profitablen und stark wachsenden Unternehmen zu tun. Wir sind in unseren Portfolios in einer ganzen Reihe von fantastischen Unternehmen insbesondere im Bereich der Halbleiter-Ausrüster investiert, die von diesem Trend signifikant profitieren. Beim Thema erneuerbare Energien sind wir eher zurückhaltend – eine oft (zu) hohe Verschuldung, geringe Kapitalrenditen, starker Wettbewerb und regulatorische Unsicherheit machen uns hier vorsichtig. Allerdings sind wir in zahlreichen Unternehmen investiert, die Technologien für die Energieeffizienz anbieten.
Kurzvita
Peter Kraus ist seit 2017 Leiter Small Cap Equities bei Berenberg. Er und sein Team verwalten drei Nebenwertefonds sowie weitere internationale Small- und Micro-Cap-Mandate. Zuvor war er als Fondsmanager für europäische Micro und Small/Mid Caps bei Allianz Global Investors tätig, wo er maßgeblich zum Erfolg des Nebenwerte-Teams beigetragen hat. Dabei war er verantwortlich für das Management von europäischen Nebenwerte-Fonds sowie für die Akquisition und die Betreuung internationaler institutioneller Mandate und wurde mehrfach ausgezeichnet.
Unser Interviewgast
Peter Kraus
Peter Kraus ist seit Oktober 2017 Head of Small Cap Equities bei Berenberg. Er war ab dem Jahr 2000 zunächst für 3 Jahre als Aktienanalyst für eine Corporate Finance Beratung in München tätig, bevor er in 2003 zu Deka Investment nach Frankfurt wechselte. Dort war er als Analyst für europäische Nebenwerte tätig. In 2006 wechselte er zu Allianz Global Investors als Fondsmanager für europäische Micro und Small/Mid Caps, wo er in den Folgejahren maßgeblich zum Erfolg des Nebenwerte-Teams beigetragen hat. Peter Kraus zeigte sich verantwortlich für das Management von diversen europäischen Nebenwerte-Fonds sowie für die Akquisition und die Betreuung internationaler institutioneller Mandate. Er studierte an der Universität Mannheim Betriebswirtschaftslehre und ist CFA Charterholder.