Auf den Punkt
Die Unsicherheit über Wachstum und Inflation bleibt ungewöhnlich hoch. Bisher erwiesen sich beide unerwartet robust. Es drohen höhere Zentralbankzinsen für länger.
Die Wirtschaft in Europa und China dürfte sich im Frühjahr etwas erholen, während das Ausmaß des bevorstehenden Abschwungs in den USA völlig unklar ist.
Solange das Bild nicht klarer wird, hält das Hin und Her an den Märkten an, zumal Bewegungen in beide Richtungen begrenzt scheinen – auf der einen Seite durch die fundamentale Entwicklung, auf der anderen durch die im Gros noch immer niedrige Anlegerpositionierung.
Portfoliopositionierung auf einen Blick
Aufgrund unseres Aktienfokus auf Europa und die Schwellenländer haben wir an der Aktienrallye zum Jahresstart partizipiert. Wir sind dieser Entwicklung aber nicht hinterhergelaufen, sondern haben in mehreren kleinen Schritten die Aktienquote immer wieder in Richtung neutral reduziert. Später im Februar nahmen wir Aktien schließlich auf ein leichtes Untergewicht, durch eine weitere Reduktion von vergleichsweise teuren US-Aktien. Wir präferieren weiterhin Aktien aus Europa und den Schwellenländern. Im Gegenzug stockten wir kurzlaufende Euro-Anleihen auf, um auch den wiedererstarkten US-Dollar zur weiteren Reduktion unseres US-Dollar-Exposures zu nutzen. Bei Anleihen hatten wir die Duration nach den Renditeanstiegen im Februar nur noch leicht unterhalb von neutral positioniert. Der Schwerpunkt liegt weiter bei Unternehmensanleihen und Schwellenländeranleihen. Unsere breite Aufstellung hat einen deutlichen Schwerpunkt bei Rohstoffen. Insbesondere Industriemetalle und Energierohstoffe haben aus unserer Sicht seit Jahresbeginn an relativer Attraktivität gewonnen. Zur Diversifikation haben wir zudem in vielen Strategien eine Position aufgebaut, die von einer Versteilung der US-Zinsstrukturkurve profitiert, nachdem diese deutlich invertiert hat.
Rückblick erstes Quartal: Januar zu gut, um nachhaltig zu sein
Es war lange unser Bild, dass Aktienmärkte im zweiten Halbjahr 2022 einen Boden ausbilden würden und dann mit dem Jahreswechsel eine Erholung sehen dürften, nicht zuletzt angesichts des vorherrschenden, starken Pessimismus. Deshalb waren wir trotz der vielfältigen Risiken bereits seit Ende Q3 2022 bei Aktien nicht mehr im Untergewicht. Auslöser der starken Entwicklung zu Jahresbeginn waren eine rückläufige Inflation sowie eine robustere Wirtschaft. Mit den im Februar wieder gestiegenen Anleiherenditen taten sich dann aber auch Aktien wieder schwerer und gaben ihre Gewinne teilweise ab. Letztlich hatten in Q1 aber Aktien die Nase vorne, insbesondere europäische Titel. Auch Anleihen zeigten generell positive Renditen, besonders Schwellenländeranleihen. Gold legte ebenfalls zu, während Industriemetalle und insbesondere Öl einen Teil der Gewinne des letzten Jahres wieder abgaben. Der EUR/USD-Kurs notiert nahezu unverändert.Länger höher: Inflation und Geldpolitik weiter im Fokus der Märkte
Die Inflation ist zwar rückläufig, dies aber langsamer als erwartet, beispielsweise da Lohnanstiege den Basiseffekten bei Energie und Industriemetallen gegenüberstehen. Der Rückgang der Kerninflationsrate könnte sich damit vorerst weiter in Grenzen halten. Im Februar stieg die Euro-Kerninflationsrate gar von 5,3% auf 5,6%, während die Gesamtinflation nur leicht von 8,6% auf 8,5% zurückfiel. Die US-Kerninflationsrate für Februar überraschte ebenfalls nach oben. Die Inflation bestimmt deshalb zusammen mit der Zentralbankpolitik unverändert das Kapitalmarktgeschehen – Aktien und Anleihen weisen einen deutlichen Gleichlauf auf. So entwickeln sich die erwartete 10-jährige US-Realrendite, das heißt die Rendite 10-jähriger inflationsindexierter Staatsanleihen (TIPS), und der Aktienmarkt fast exakt konträr.
Die Aktienrallye zu Jahresbeginn war getrieben von um nahezu 50 Basispunkte gefallenen Realrenditen im Zuge aufkeimender Hoffnung auf ein zügiges Ende der Zinserhöhungen durch die amerikanische Zentralbank. Ab Anfang Februar stiegen die Realrenditen jedoch zurück auf das Niveau vom Jahresstart, denn die Inflation erwies sich als hartnäckiger und die Wirtschaft als robuster.
Der Schock um den Ausfall zweier regionaler amerikanischer Banken Mitte März ließ die Realrendite dann kurzfristig einbrechen. Diese Entwicklung dürfte aber vorerst nicht nachhaltig sein, denn die in der Folge gegebene implizite Garantie der amerikanischen Behörden für Bankeinlagen stabilisierte die Situation zügig. Märkte dürften erneut länger höhere Inflation und höhere Zentralbankzinsen einpreisen.
Dieses Umfeld entspricht unserer Erwartung, dass die Inflationsentwicklung auch in den kommenden Jahren ein wesentlicher Treiber für die Märkte bleibt. Denn schließlich bestehen die Angebotsengpässe bei Rohstoffen und Arbeitskräften als Inflationstreiber mittelfristig weiter und dürften bei anziehendem Wachstum immer wieder zu steigender Inflation führen – die Inflation dürfte nicht nur strukturell höher sein, sondern auch deutlicher schwanken. Das bedeutet, dass bestenfalls temporär die Inflationsentwicklung in den Hintergrund tritt und der Marktfokus auf das Wachstum wechselt. Wir dürften uns damit weiter vornehmlich in einem Umfeld höheren Gleichlaufs von Aktien und Anleihen befinden.
Harte, weiche oder keine Landung in den USA?
Ein temporärer Fokuswechsel der Märkte bleibt aber wahrscheinlich, wenn im Laufe des Frühjahrs und Sommers die Inflation aufgrund von Basiseffekten deutlicher fällt. Dann dürfte das Wirtschaftswachstum und damit die Frage, ob die US-Konjunktur eine weiche Landung oder vielleicht doch eine nennenswerte Rezession erleben wird, das Marktgeschehen dominieren. Dabei gilt, je länger sich die Wirtschaft als robust erweist und die Inflation und die Zentralbankzinsen hoch bleiben, desto härter könnte die Landung letztlich werden. Denn länger höhere Zinsen führen nicht nur zu Finanzierungsproblemen und Kreditausfällen, sondern auch zu Risiken auf dem Immobilienmarkt. Die Immobilienpreise sind bereits in vielen Regionen, zum Beispiel Australien, Neuseeland, Schweden oder Großbritannien, deutlich rückläufig. In den Sommer hinein dürfte zudem das politische Schauspiel im Rahmen der nötigen Anhebung der US-Schuldenobergrenze für Unruhe sorgen. Experten schätzen derzeit, dass der US-Regierung ohne Anhebung der Schuldengrenze im August oder spätestens September das Geld ausgehen wird. Das politische Gerangel könnte die Kapitalmärkte zumindest temporär belasten, wenn die Zeit ohne Einigung verstreicht. Das alles spricht zumindest für holprige Märkte während der Landung der US-Wirtschaft.
Wohl zähes Frühjahr und zäher Sommer an den Finanzmärkten
Die Entwicklung seit Jahresbeginn bekräftigt unser langfristiges Bild, dass die Zinswende vollzogen ist, die außergewöhnlich niedrigen Zinsen Vergangenheit sind und diese auch nicht schnell zurückkehren werden. Das lastet auf den Bewertungen aller Anlagen. Man sollte nicht davon ausgehen, dass Zinsen mittelfristig wieder Richtung null fallen und damit die Bewertungen von Aktien beflügeln, zumal Aktien bereits eine Konjunkturerholung eingepreist haben (untere Abbildung). Zudem dürften höhere Finanzierungs-, Lohn- und Materialkosten auf den Gewinnmargen lasten und damit das Gewinnwachstum begrenzen. Damit sind Anleihen und Rohstoffe mittelfristig vergleichbar attraktiv wie Aktien – alle Anlageklassen bieten damit für die kommenden Jahre positive Renditeerwartungen und diese liegen so nahe beieinander wie lange nicht, insbesondere bei risikoadjustierter Betrachtung. Das spricht weiter für eine breite, ausgewogene Aufstellung zur risikoreduzierenden Nutzung aller Diversifikationsvorteile, zumal auch die hohe Unsicherheit über die weitere Entwicklung der Wirtschaft bei nun wieder weniger extremer Anlegerpositionierung gegen ein sehr fokussiertes Portfolio spricht. Wir erwarten dieses Jahr noch bessere Chancen, Risikopositionen wieder auszuweiten.Autor
Prof. Dr. Bernd Meyer
Prof. Dr. Bernd Meyer ist seit Oktober 2017 Chefanlagestratege bei Berenberg und dort im Wealth and Asset Management für die diskretionären Multi-Asset-Strategien sowie die Vermögensverwaltungsmandate zuständig. Prof. Dr. Bernd Meyer war zunächst Leiter der Europäischen Aktienstrategie bei der Deutschen Bank in Frankfurt und London und baute ab 2010 als Bereichsleiter das globale Cross Asset Strategy Research bei der Commerzbank auf. Prof. Dr. Meyer wurde mehrfach ausgezeichnet. So rangierte er mit seinem Team beim renommierten Extel Survey in den Jahren 2013 bis 2017 jeweils unter den besten drei Multi Asset Research Teams weltweit. Prof. Dr. Meyer ist DVFA Investment Analyst, CFA-Charterholder und Gastdozent für „Empirische Kapitalmarktforschung“ an der Universität Trier. Er hat zahlreiche Artikel und zwei Bücher veröffentlicht sowie drei wissenschaftliche Auszeichnungen erhalten.