Herr Reichle, Sie sind Leiter Fixed Income EM. Ihr Fokus als Portfoliomanager liegt auf Anleihen aus den Schwellenländern. Wie würden Sie Ihre Aufgabe beschreiben?
Wir kümmern uns um Anleihen, die von Schwellenländern, also Staaten, oder dort ansässigen Unternehmen emittiert werden. Wir sind aktive Manager, das heißt, wir versuchen unseren Kunden einen Mehrwert gegenüber einer Benchmark und passiven Anlagealternativen zu bieten. Auf Basis unserer Analysen und Überzeugungen positionieren wir uns dazu mit Blick auf Zinsen, Risikoaufschläge, Währungen, Länder, Regionen und Unternehmen. Das Großartige an unserem Job ist der globale Aspekt – irgendwo in den Schwellenländern ist immer was los. Gerade diese Märkte sind selten komplett effizient gepreist, das birgt Risiken, aber eben auch große Chancen.
Das klingt spannend! Wie sieht Ihr Arbeitsalltag denn konkret aus?
Wir haben ein wahrhaft globales Anlageuniversum zu überblicken. Das fängt morgens mit Asien an, anschließend wandern wir rund um den Globus und landen dann am Nachmittag in Lateinamerika. Wir lesen und filtern die über Nacht angefallenen Nachrichten, dann werden die Risikosysteme überprüft. Haben sich die Risikoaufschläge signifikant verändert? Müssen Währungs-, Bond- oder Länderallokationen angepasst werden? All das muss täglich überwacht und ausgewertet werden – also eigene Analysetätigkeit in Kombination mit externem Research, dem Austausch mit Emittenten, Kollegen und Analysten. Vor allem Lateinamerika ist anspruchsvoll, weil diese Region stark an das amerikanische Börsengeschehen gekoppelt ist und das Geschehen in den Schwellenländern im Tagesverlauf nochmal komplett drehen kann.
Schwellenländeranleihen sind ein breites Feld. Welche Segmente sollten Anleger unterscheiden?
Es muss insbesondere zwischen Hartwährungs- und Lokalwährungsanleihen unterschieden werden, denn viele Schwellenländeranleihen werden nicht in der heimischen Währung, sondern in US-Dollar oder Euro emittiert, um einfacher auch bei global orientierten Investoren Gelder einzusammeln. Das gilt insbesondere für Unternehmen, die nahezu ausschließlich Hartwährungsanleihen begeben. Lokalwährungsanleihen sind somit fast ausschließlich Staatsanleihen. Diese Unterscheidung ist wichtig, da beide verschiedene Werttreiber aufweisen. So spielt bei Lokalwährungsanleihen neben lokaler Zinspolitik vor allem die Währungsentwicklung eine bedeutende Rolle. Bei Hartwährungsanleihen sind es hingegen die Risikoaufschläge über die US-Dollar- oder Eurozinsstrukturkurve. In der langen Frist sollten sich beide Segmente zwar vergleichbar entwickeln, auf kürzere Sicht kommt es aber immer wieder zu Bewertungsdifferenzen.
Entsprechend bietet Berenberg einen Fonds, fokussiert auf Lokalwährungsanleihen, (Global Bonds Fonds) und zwei Fonds, fokussiert auf Hartwährungsanleihen, (EM Bonds/Sustainable EM Bonds) an. Was ist Ihre Investmentphilosophie bei diesen Fonds?
Wir sind überzeugt davon, dass besonders am Markt für Schwellenländeranleihen immer wieder Ineffizienzen bestehen, also beispielsweise attraktive fundamentale Perspektiven noch nicht vollständig in den Preisen reflektiert sind. Das allgemeine Marktsentiment, technische Marktfaktoren oder die Liquidität können dafür Gründe sein. Wir wollen solche Ineffizienzen identifizieren und dadurch Alpha generieren. Die schiere Größe des Investmentuniversums erfordert dabei einen strukturierten und analytischen Investmentprozess.
Stichwort Nachhaltigkeit: Auf den ersten Blick scheinen ESG und Schwellenländer kaum vereinbar. Wie arbeiten Sie als Investor mit Fokus auf Nachhaltigkeit bei Schwellenländern?
Gerade in Schwellenländern stellt ein Fokus auf Nachhaltigkeit ein wesentliches Element des Risikomanagements dar. Neben gängigen harten Ausschlusskriterien suchen wir starke Staaten und Unternehmen basierend auf ihrem Nachhaltigkeitsansatz sowie ihrer fundamentalen Stärke aus. Hier wird besonderer Wert auf die mittel- bis langfristige ESG-Strategie des Emittenten gelegt. Allgemeine Ausschlusskriterien sind zu kurz gedacht, auch Transitionsprozesse, wie zum Beispiel im Energiesektor hin zu erneuerbaren Energien, sollten berücksichtigt werden. Ergänzend zu unseren eigenen Analysen nutzen wir dabei ESG-Unternehmensanalysen sowie Nachhaltigkeitsratings externer Anbieter.
Welche Herausforderungen ergeben sich für Sie als Portfoliomanager, die in Anleihen von Unternehmen, Regierungen und Institutionen rund um den Globus investieren?
Eine der größten Herausforderungen ist, dass westliche Anleger meist pauschal positiv oder negativ gegenüber der Assetklasse Schwellenländeranleihen eingestellt sind. Aber genauer hinschauen lohnt sich, ebenso wie eine langfristige strategische Allokation. Generell sind Schwellenländeranleihen mit mehr Risiko behaftet als Anleihen aus den entwickelten Ländern. Themen sind hier die teilweise hohe Intransparenz, Korruption insbesondere im Staatsbereich sowie die immer noch hohe Abhängigkeit von Rohstoffexporten. Aber gerade im Bereich Intransparenz und Korruption können durch Integration von Nachhaltigkeitskriterien (ESG) Risiken verringert und im besten Fall sogar Chancen erkannt werden. So kann man Länder und Unternehmen selektieren, die solche Risiken aktiv angehen.
Wie managen Sie die Risiken und warum sollten Anleger Schwellenländer im Portfolio haben?
Markt-, Kredit- und Zins-Risiken werden individuell betrachtet und aktiv gesteuert. Im aktuellen Marktumfeld sehen wir das Zinsänderungsrisiko oftmals als maßgeblich für die Richtung der Risikoaufschläge und dementsprechend schafft ein aktives Management einen deutlichen Mehrwert. Schwellenländeranleihen sollten schon allein deswegen im Portfolio sein, weil sie sich in den vergangenen Jahren zu einer strategischen Assetklasse entwickelt haben. Schwellenländeranleihen, insbesondere in Fremdwährung denominiert, bieten nicht nur attraktive Einstiegsrenditen, sondern auch einen hohen Grad an Diversifikation im Portfolio – gerade im vergangenen Jahr hat dies sehr geholfen.
Wo genau sehen Sie dieses Jahr die attraktivsten Chancen?
Dank stark gestiegener Renditen erscheinen Schwellenländeranleihen im Allgemeinen sehr attraktiv. Es gibt aber Unterschiede, sowohl auf Länderebene als auch innerhalb der Segmente, das heißt Staats- und Unternehmensanleihen in Hartwährung sowie Staatsanleihen in Lokalwährung. Wir erwarten Performancevorteile im Lokalwährungssegment auch in diesem Jahr. Trotz schon stark gestiegener lokaler Renditen und damit attraktiver laufender Verzinsung erwarten wir, dass die Währungsentwicklung kurzfristig die Performance bestimmen wird. Wenn die Zinserhöhungszyklen jedoch schneller als in den USA und Europa auslaufen, wird neben Carry auch wieder Preisperformance an Bedeutung gewinnen. Somit erscheint uns im Laufe des Jahres eine sukzessive Erhöhung der Duration im Markt für Lokalwährungsanleihen angebracht.
Anleihen bieten also wieder eine echte Alternative zu Aktien. Wie sollten Anleger auf das neue Marktumfeld für Anleihen reagieren?
Anleger sollten im aktuellen Marktumfeld wieder über den Tellerrand hinausschauen und über ihre aktuelle Gewichtung von Anleihen gegenüber Aktien nachdenken. Anleihen sollten aufgrund des neuen Zinsregimes mit auskömmlichen Renditen, gerade im Schwellenländerbereich, ein solides Gegengewicht in Multi-Asset-Portfolios darstellen. Insbesondere Lokalwährungsanleihen bieten neben hohen Renditen eine geringe Korrelation zu Aktien und anderen Anleihesegmenten und können dadurch den Diversifizierungsgrad eines Portfolios deutlich erhöhen.