Liebe Leserinnen, liebe Leser,
die Finanzmärkte sind zunächst fulminant in das neue Jahr gestartet, denn besser als erwartete Wirtschaftsdaten und rückläufige Inflation trafen auf pessimistische Anleger. Dies beflügelte Anleihen und besonders Aktien. Europäische Werte hatten die Nase vorne. Ein besseres Jahr hatten wir ja erwartet und auch, dass Aktien nach einer Bodenbildung im zweiten Halbjahr 2022 eine Erholung in das Jahr 2023 sehen dürften. Die Dynamik im Januar hat aber auch uns überrascht, ist doch das Potenzial von Aktien aufgrund fehlender Fantasie für eine deutliche Bewertungsausweitung und mangels Gewinnwachstums beschränkt. So näherten sich die europäischen Aktienindizes bereits Anfang Februar unseren Jahresendzielen, obwohl diese im Wettbewerbsvergleich bereits optimistisch waren. Die Rallye kam ab Februar dann auch mit wieder steigenden Anleiherenditen ins Stocken. Denn dank höher als erwartetem Wachstum und erwarteter Inflation drohen länger höhere Zentralbankzinsen und damit mittelfristig das Risiko einer doch deutlicheren Wirtschaftsabschwächung.
Die Inflation und die erwartete Zentralbankpolitik bestimmen damit bisher weiter das Finanzmarktgeschehen – Aktien und Anleihen entwickeln sich weitgehend im Gleichlauf. Zumindest die Gesamtinflation sollte in den kommenden Monaten dank Basiseffekten aber deutlicher fallen. Spannend wird es erst wieder später im Jahr bezüglich der Frage, wie weit die Inflation letztlich fällt – sie könnte mittelfristig höher bleiben, als viele denken. Der Anlegerfokus dürfte deshalb vorübergehend auf das Wirtschaftswachstum wechseln. China sollte hier in den kommenden Monaten Rückenwind erzeugen. Für die USA sind die Kernfragen, wie stark der Abschwung im zweiten Halbjahr ausfällt und welche Verwerfungen die Diskussion um das Anheben der Schuldengrenze erzeugen wird. Europa steht dazwischen und scheint aktuell an einer Rezession entlangzuschrammen. Ab dem Frühjahr erwarten wir hier eine Erholung. Die Unsicherheit hinsichtlich des Wachstums und der Inflation bleibt aber angesichts der vielfältigen Risiken, der länger höheren Zentralbankzinsen und des Fortgangs des Krieges, weiter überdurchschnittlich hoch.
Nach dem guten Jahresstart könnte an den Märkten damit das klassische Saisonmuster mit einem schwächeren Sommer eintreten, zumal die Aktienbewertungen gestiegen sind – auch weil die Gewinnerwartungen reduziert wurden – und die Stimmung und Positionierung weniger pessimistisch sind. Die Aktienmärkte preisen bereits eine globale Konjunkturerholung im zweiten Halbjahr ein, während die Risiken für die Wirtschaft mit länger hohen Zentralbankzinsen zunehmen, wie die jüngsten Probleme einzelner regionaler US-Banken bereits zeigen. Entsprechend haben wir die Aktienquote, welche seit September neutral oder im Übergewicht gewesen ist, gegen Ende Februar auf ein leichtes Untergewicht zugunsten von Anleihen reduziert. Unser Fokus bleibt bei Aktien aus Europa und den Schwellenländern. Rohstoffe sind seit Jahresbeginn attraktiver geworden.
Im Insights-Interview diskutiert unser Portfoliomanager Robert Reichle, wieso Emerging Markets ihn begeistern, wie sein Team arbeitet und warum Schwellenländeranleihen aktuell attraktiv sind.
Herausgeber
Prof. Dr. Bernd Meyer
Prof. Dr. Bernd Meyer ist seit Oktober 2017 Chefanlagestratege bei Berenberg und dort im Wealth and Asset Management für die diskretionären Multi-Asset-Strategien sowie die Vermögensverwaltungsmandate zuständig. Prof. Dr. Bernd Meyer war zunächst Leiter der Europäischen Aktienstrategie bei der Deutschen Bank in Frankfurt und London und baute ab 2010 als Bereichsleiter das globale Cross Asset Strategy Research bei der Commerzbank auf. Prof. Dr. Meyer wurde mehrfach ausgezeichnet. So rangierte er mit seinem Team beim renommierten Extel Survey in den Jahren 2013 bis 2017 jeweils unter den besten drei Multi Asset Research Teams weltweit. Prof. Dr. Meyer ist DVFA Investment Analyst, CFA-Charterholder und Gastdozent für „Empirische Kapitalmarktforschung“ an der Universität Trier. Er hat zahlreiche Artikel und zwei Bücher veröffentlicht sowie drei wissenschaftliche Auszeichnungen erhalten.