Auf den Punkt
Die Weltkonjunktur verliert erheblich an Schwung.
USA: weiche Landung voraus, neuer Schwung Herbst 2024.
Europa: Stagnation bis zum Frühjahr 2024.
Der Inflationsdruck geht weiter zurück – aber nicht auf 2 %.
Geldpolitik: Zinsgipfel erreicht, erste Zinssenkung 2024.
Sanfte Landung in den USA
Trotz der energischen Zinswende der US-Fed hat sich die US-Konjunktur bisher weit besser gehalten als erwartet. Der besonders zinssensible Wohnungsbau ist zwar um mehr als 20 % gegenüber Anfang 2021 eingebrochen. Da die privaten Verbraucher währenddessen den zunächst gesparten Teil der Stimulusschecks ausgegeben haben, hat dies die gesamtwirtschaftliche Leistung aber kaum gestört. Auch die Unternehmen haben bisher trotz höherer Finanzierungskosten ihre Investitionen nicht zurückgefahren. Die Steueranreize für grüne (und einige andere) Investitionen wirken der Geldpolitik entgegen. Zudem sind die Unternehmen dank hoher Reserven weniger auf Kredit angewiesen als früher. Außerdem hatten sie in den Vorjahren – anders als in früheren Zyklen – keine Überkapazitäten aufgebaut. Deshalb müssen sie dies jetzt nicht durch geringere Investitionen ausgleichen.
Allerdings wirkt die Geldpolitik zeitlich verzögert. Viele Wirtschaftsdaten deuten darauf hin, dass sich die US-Konjunktur spürbar abkühlt. Für die erste Hälfte des kommenden Jahres zeichnet sich eine sanfte Landung ab. Auch wenn die USA vermutlich eine Rezession vermeiden können, bedeutet selbst eine sanfte Landung, dass das Wachstum für einige Zeit weitgehend zum Erliegen kommt. Gerade für Investitionen, Wohnungsbau und den privaten Verbrauch rechnen wir für die kommenden zwei Quartale mit einer Stagnation.
Die einstweilige Wirtschaftsschwäche wird dazu beitragen, den Inflationsdruck in den USA weiter zu vermindern. Ab Mitte 2024 dürfte dann eine weniger straffe Zinspolitik die konjunkturellen Aufwärtskräfte stärken. Angesichts einer strukturell hohen Nachfrage nach Wohnraum kann auch der Wohnungsbau vermutlich ab Sommer 2024 wieder zulegen. Die Fiskalpolitik trägt ebenfalls zum Zuwachs der Nachfrage bei. Wir erwarten deshalb, dass die US-Wirtschaft im Herbst 2024 wieder eine annualisierte Wachstumsrate von 2 % erreichen kann.
Durchwachsener Ausblick für Europa
Zwei sehr unterschiedliche Kräfte prägen den Ausblick für die europäische Konjunktur für die kommenden Monate. Einerseits hat der Kontinent den Putin-Schock gut überstanden. Die Einkommen der Verbraucher steigen bei rückläufiger Inflation, einem immer noch weitgehend stabilen Arbeitsmarkt und höheren Lohnzuwächsen bereits seit dem Frühjahr wieder stärker als die Preise. Die Verbraucher haben damit real – also nach Abzug der Inflation – wieder mehr Geld in der Tasche. Dies hat sich im Sommer bereits in einer lebhaften Reisetätigkeit gezeigt. Andererseits steckt das verarbeitende Gewerbe in einer Rezession. Die schwache Weltnachfrage nach Gütern sowie die Lagerkorrekturen treffen insbesondere Länder wie Deutschland, die sich auf die Ausfuhr von Waren spezialisiert haben. Viele Unternehmen hatten 2022 das Ende der ausgeprägten Lieferkettenengpässe genutzt, um Lagerbestände an Vor- und Fertigprodukten aufzubauen. Angesichts einer schwächelnden Nachfrage bauen sie jetzt ihre Lagerbestände wieder ab. Vorläufig produzieren sie also weniger, als sie verkaufen. Die Rezessionssorgen belasten auch das Konsumklima. Im Weihnachtsgeschäft werden sich viele Bürger deshalb wahrscheinlich zurückhalten. Im Schlussquartal 2023 könnte die Wirtschaftsleistung in der Eurozone leicht schrumpfen.
Allerdings dauert es oftmals nur etwa drei Quartale, bis Unternehmen ihre Lager hinreichend geräumt haben und dann wieder mehr produzieren. Der Anstieg einiger Stimmungsindikatoren, zu denen auch das deutsche ifo Geschäftsklima gehört, deutet darauf hin, dass das verarbeitende Gewerbe Ende 2023 den Tiefpunkt erreicht haben wird.
Europa: am Tiefpunkt der Konjunktur
Für das kommende Jahr zeichnet sich ein neuer Aufschwung ab. Viele Unternehmen halten sich derzeit angesichts großer Unsicherheiten mit Investitionen zurück. Sobald die Konjunktur nach dem Ende der Lagerkorrektur wieder etwas Tritt gefasst hat, werden sie wieder mehr investieren, um Lieferketten neu zu strukturieren und knappe Arbeitskräfte zu ersetzen. Obwohl China strukturell schwach bleiben wird, kann die Ausfuhr nach China im kommenden Jahr vermutlich wieder leicht zulegen. Schließlich dürfte China 2024 mit etwa 3–4 % wachsen. Auch die Kauflust der Verbraucher dürfte wieder etwas zunehmen. Mit der Rückkehr der US-Wirtschaft zu normalem Wachstum wird die Konjunktur in Europa im kommenden Sommer wohl wieder ein Tempo erreichen, das etwas über die Trendrate des Wachstums von 1,3 % hinausgeht. Für Großbritannien rechnen wir mit einem ähnlichen Verlauf wie für die Eurozone.
Der große Inflationsschub ist ausgestanden
Auf beiden Seiten des Atlantiks hat der Preisdruck erheblich nachgelassen. Tendenziell werden die Kernraten der Inflation (ohne die schwankungsanfälligen Preise für Energie und Nahrungsmittel) im kommenden Jahr etwas weiter zurückgehen. Allerdings wird das Ende staatlicher Energiehilfen für Verbraucher in der Eurozone zunächst wohl dafür sorgen, dass die Inflation von 2,4 % im November im Dezember und Januar wieder etwas steigen dürfte, bevor der Abwärtstrend erneut einsetzen kann. Da höhere Lohnzuwächse in Europa die Preise für arbeitsintensive Dienstleistungen weiter in die Höhe treiben und zudem die Kosten des Klimaschutzes zu Buche schlagen, rechnen wir damit, dass sich die Inflation in Europa mittelfristig wohl bei etwa 2,5 % einpendeln wird, statt bei den etwa 1,5 % in den Jahren vor der Pandemie. Für die USA erwarten wir Inflationsraten in ähnlicher Höhe in den kommenden Jahren.
Zentralbanken – Zinsgipfel erreicht, erste Zinssenkungen 2024
Sobald die konjunkturelle Schwächephase den Inflationsdruck hinreichend gedämpft hat, wird die US-Fed ihren Leitzins ab Mai 2024 wieder senken, vermutlich auf 4,5 % bis Ende 2024 und 3,5 % Ende 2025. Da der maßgebliche Zins der EZB nur bei 4 % liegt statt bei 5,5 % wie bei der US-Fed, wird die EZB den Geldmarktzins allerdings wohl erst später und langsamer nach unten steuern als die Fed, auf etwa 3,5 % Ende 2024.